Viele von uns sind in den letzten Monaten zu regelrechten Sesselklebern beziehungsweise Bürostuhlklebern geworden. Im Homeoffice sitzen wir nicht nur mehr, wir bewegen uns vor der Arbeit auch kaum. Die wenigen Meter von der Küche oder dem Bad bis zum Schreibtisch sind kaum der Rede wert. Das ist, als ob wir vom Gelegenheitsraucher zu Kettenrauchern geworden wären. Denn: Es gibt Studien, die zum Resultat kommen, dass Sitzen bezüglich Schädlichkeit mit dem Rauchen vergleichbar ist. Leute, die viel sitzen, haben ein höheres Risiko, vorzeitig zu sterben. Studien zeigten Zusammenhänge zwischen langem Sitzen und Herzkreislauf-Erkrankungen, Krebserkrankungen und Diabetes-Typ-2-Erkrankungen. Auch die mentale Gesundheit leidet: Ein belgische Studie kam zum Schluss, dass Vielsitzer häufiger an Depressionen, Angststörungen erkranken oder an Schlafproblemen und psychischen Stress leiden.

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Hinzu kommen körperliche Beschwerden wie Rücken- und Hüftprobleme, Nacken- und Kopfschmerzen, geschwollene Beine und Übergewicht. Insgesamt werden über 30 Krankheiten mit dem Sitzen in Verbindung gebracht.

Sport hebt Negativfolgen nicht auf

Der Grund: Der Herzkreislauf ist im Sitzen durch die verwinkelte Haltung beeinträchtigt. Ebenso die Verdauung, denn die inneren Organe werden, vor allem bei einer krummen Haltung, zusammengedrückt. Die Beinmuskulatur wird kaum trainiert und kann verkümmern. Die Sehnen an der Hüfte verkürzen sich und die Hals-, Rücken- und Schultermuskulatur verkrampft sich, was zu Rücken- und Kopfschmerzen führen kann. «Manche spüren die Folgen mit 30, andere mit 50, andere gar nicht, das ist sehr individuell», sagt Claudia Cierpka, Betriebs-Ergonomin am Universitätsspital Basel.

Langes Sitzen ist also nicht gerade gesund – und es kommt noch schlimmer. Selbst wenn du als Ausgleich täglich Sport treibst, hebt das die negativen Folgen des Sesselklebens nicht vollständig auf. 2016 tönte es von Forschenden noch anders: Wer sich pro Arbeitstag eine Stunde sportlich betätige, der könne die Folgen kompensieren, hiess es in einer Übersichtsstudie. Die Aktivitäten müssten nicht eine Stunde am Stück betragen, sie könnten sich auch summieren. Eine neue Studie machte diese Aussage dann aber 2017 zunichte: Das Gesundheitsrisiko, das langes Sitzen berge, könne verringert werden, nicht aber vollständig kompensiert.

Regelmässige Pausen

Fazit: Besser weniger lang am Stuhl kleben als dann an den Folgen zu leiden. Nur wie? Für viele heisst arbeiten schliesslich Schreibtischarbeit.

Eine Frau steht mit einem Laptop neben einem Schaltschrank oder Supercomputer oder sounsplash/Christina @ wocintechchat.com

Auch mal im Stehen arbeiten ist gesünder als nur zu sitzen.

Die gute Nachricht: Es gibt unzählige Möglichkeiten wie die Arbeit am Schreibtisch gesünder wird. Am wichtigsten: Regelmässig Pausen einlegen. Studien haben gezeigt, dass vor allem längere Sitzperioden von über 30 Minuten Schaden anrichten können. Am besten ist, Sitzen und Stehen abzuwechseln, gewisse Arbeiten also zum Beispiel am Stehpult zu erledigen. Auch der Gang zur Toilette oder zur Kaffeemaschine hilft. Wichtig ist Abwechslung: «Wir sollten nicht den ganzen Tag in einer Gipfeli-Haltung verbringen», sagt die Ergonomin Claudia Cierpka. «Das Sitzen sollte immer wieder durchbrochen werden durch Gehen, Stehen oder andere Bewegungen. Das kann auch sein, mal quer zu sitzen, im Stuhl vorzurutschen oder sich wieder aufzurichten.» Im Stehen werden andere Muskelgruppen aktiv als im Sitzen, deswegen ist der Wechsel so wichtig. Nur zu stehen kann aber ebenfalls sehr belastend sein für den Körper. Müde, schwere Beine sind die Folge. Im Stehen das Gewicht von einer Seite zur anderen zu verlagern oder einen Fuss auf einen Fussschemel stellen, entlastet.

Es gibt sogar Apps, welche dich regelmässig daran erinnern, aufzustehen. Solche Interventionen können mit der Zeit aber einen Abnutzungseffekt haben. Eine neue Studie hat deshalb untersucht, zu welchen Tageszeiten wir am längsten sitzen bleiben. Sie zeigt: Je länger der Tag voranschreitet, je grösser also auch die mentale Müdigkeit wird, desto häufiger stehen wir auf. Willst du dich selber also motivieren, mehr aufzustehen, sollten sich die Motivierungsaktionen auf den Morgen konzentrieren. Ausserdem stehen wir häufiger auf, wenn wir zuvor aktiv waren. Die Velofahrt zum Büro oder ein morgendlicher Spaziergang führen also dazu, dass du während des Tages häufiger denn Stuhl verlässt.

Ausserdem gibt es ein gesundes Sitzen und ein ungesundes Sitzen. Gesund ist: sich zurücklehnen, damit der Beugewinkel der Hüfte 90 Grad oder mehr beträgt und du die Beine ab und zu strecken kannst. Die Schultern und der Hals sollten nicht verkrampft nach vorne gerichtet sein, sondern entspannt und aufrecht. Auch die Ellbogen sollten ungefähr in einem 90 Grad-Winkel aufgestützt sein.

Der Bürostuhl macht den Unterschied

Es gibt aber nicht den einen Sitzstil, der gesünder ist als alle anderen, denn Sitzen ist eine höchst individuelle Angelegenheit. Genau deshalb seien verstellbare Sitzmöbel so wichtig, sagt die Ergonomin Cierpka: «Die Arbeitsumgebung sollte sich dem Menschen anpassen und nicht umgekehrt.» Ein guter Bürostuhl ist in der Höhe und in der Tiefe verstellbar – er sollte nicht gegen Kniekehle und Oberschenkel drücken –, hat eine Rückenlehne, die sich an die Form der Wirbelsäule anpasst und verfügt über eine Synchronmechanik: Er wippt also mit den Bewegungen – zum Beispiel wenn du nach hinten lehnst – mit. Hocker und Bälle sind eher für kürzere Sitzintervalle geeignet, aber auch hier lässt sich der Sitzende nicht verallgemeinern: «Es gibt Leute mit guter Körperspannung, mit trainierter Bauch-Rückenmuskulatur, die auch ohne Rückenlehne gut sitzen können», weiss Cierpka aus Erfahrung. Im Idealfall sollte man sich aber immer wieder zurücklehnen und so entspannen können.

Und wenn du noch mehr tun willst gegen die Auswirkungen des Sitzens, gibt es unzählige Übungen, welche du zwischendurch machen kannst – im Sitzen oder im Stehen. Oder wie wäre es mit fünfminütigen Tanzpausen, um den Kreislauf auf Trab zu bringen? Und im Homeoffice bieten sich auch die Spinnweben an der Decke an, um sich einmal richtig zu strecken. Zappeln und herumwuseln ist im Home-Office angesagt – es stört schliesslich keinen.

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