Das musst du wissen

  • Unsere Aufmerksamkeitsspanne während der Arbeit beträgt heute durchschnittlich 47 bis 50 Sekunden.
  • Vor allem die sozialen Medien bieten viel Ablenkung – das macht uns weniger produktiv während der Arbeit.
  • Um sich produktiv abzulenken, könnten sogenannte Mikrotasks helfen.

Ablenkung ist während der Arbeit allgegenwärtig. Wir öffnen ständig Facebook, Instagram oder ein anderes soziales Netzwerk – fast wie ferngesteuert. «Zwischen verschiedenen Projekten hin und her zu wechseln, also das ständige Verschieben der Aufmerksamkeit, ist mit Stress assoziiert», sagt Gloria Mark, Professorin für Informatik an der Universität Kalifornien, die dort die Interaktion von Menschen mit Computern erforscht.

Denn: Unser Gehirn arbeitet sehr viel effektiver, wenn wir länger an einem Thema arbeiten. Das funktioniert aber nur, wenn andere Themen guten Gewissens länger ignoriert werden können – was bei den wenigsten Menschen der Fall ist. «Die meisten Menschen bevorzugen monochrome Arbeit, aber wir leben in einer polychromen Welt», sagt Mark. Also einer Welt, die es erfordert, viele Dinge gleichzeitig zu erledigen. «Im Durchschnitt arbeiten Menschen an zwölf verschiedenen Projekten.»

Dazu kommt, dass Menschen auch an einem einzigen Projekt nicht lange ungestört am Stück arbeiten: Allein in den vergangenen 15 Jahren, seit Mark sich für das Thema Aufmerksamkeit interessiert, sei die Aufmerksamkeitsspanne von einst 2,5 Minuten auf heute durchschnittlich 47 bis 50 Sekunden gesunken, sagt sie. «Wir haben Menschen über viele Jahre an ihrem natürlichen Arbeitsplatz beobachtet, und sie wechseln heutzutage nach etwa 50 Sekunden die Tätigkeit», so Mark. Sie werden unterbrochen – «und mindestens ebenso oft unterbrechen sie sich selbst.»

Doch dagegen scheint kaum etwas zu helfen. Denn: Wenn beispielsweise Notifikationen und soziale Medien blockiert werden, steigen bei Versuchspersonen die Selbst-Unterbrechungen. Das zeigte ein Experiment, das Forscherin Mark und ihr Team durchführten, um zu schauen, ob die Produktivität bei gesperrten sozialen Medien zunimmt. Doch nur die Hälfte der Probanden wurde dadurch produktiver, die andere Hälfte war weniger produktiv und zudem gestresst. Mark vermutet: «Weil wir ihnen die Pause genommen hatten.» Denn unser Gehirn braucht Pausen, wenn es leistungsfähig sein soll. «Man kann nicht einen Berg hinauf radeln ohne Pausen», sagt Mark. Das Problem dabei: Dass die Aufmerksamkeitsspanne sinkt, führt zu weniger Produktivität. Und wer seine Pause auf diese Weise halb bewusst organisiert, findet nicht immer leicht zurück in die Arbeit.

Science-Check ✓

Studie: Effects of Individual Differences in Blocking Workplace DistractionsKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsDie Stichprobe ist sehr klein. Auch die Beobachtungszeit von einer Woche ist sehr kurz. Beides schränkt die Aussagekraft der Studie ein. Die Probanden waren alle gut ausgebildet und beruflich in einem High-Tech-Umfeld tätig. Die Stichprobe ist also nicht repräsentativ und die Resultate lassen sich nicht verallgemeinern. Ausserdem waren die sozialen Medien nur am Computer blockiert – wie die Probanden sich vom Smartphone ablenken liessen, ist unklar.Mehr Infos zu dieser Studie...

Um diesen Weg zurück zur Arbeit nach einer Pause zu erleichtern, hat die Computerwissenschaftlerin Shamsi Iqbal mit sogenannten Mikrotasks experimentiert. Sie beschäftigt sich als Forscherin bei Microsoft Research mit Aufmerksamkeitsmanagement. In ihrem Mini-Experiment holte sie Facebook-Nutzer direkt dort ab, wo die Ablenkung stattfand: bei Facebook selbst. Zusammen mit Kollegen hat sie für ein Experiment ein Tool entwickelt, das kleine Aufgaben in den Facebook-Feed von Nutzern integriert. Nach ein paar Posts bekamen die neun Versuchspersonen eine Aufgabe präsentiert, die zu ihrer aktuellen Arbeit passte – beispielsweise etwas zu recherchieren oder Rechtschreibfehler in ihrem Dokument zu verbessern. Für das Experiment konnten die Probanden zuvor selbst bestimmen, welche Aufgaben sie erledigen wollen. Sie mussten dafür Facebook nicht verlassen, das Tool pflegte die erledigten Aufgaben automatisch in deren aktuelles Projekt ein.

Facebook als Pause statt als Ablenkung

Diese Wegweiser zur Arbeit funktionierten unterschiedlich gut: Während etwa ein Drittel der Probanden die Tasks schlicht ignorierte, erledigte sie ein zweites Drittel in Facebook, und ein drittes Drittel kehrte direkt zum Dokument zurück. Woran liegen diese Unterschiede? Möglicherweise sind sie auf verschiedene Persönlichkeitstypen zurückzuführen. Einen Hinweis darauf liefert die Forschung von Informatikerin Gloria Mark: «Für manche ist Facebook eine echte Pause». Möglicherweise ignorieren solche Menschen die kleinen Aufgaben, weil sie bewusst eine Pause eingelegt hatten und auf Facebook Erholung suchten.

Es gilt also, eine Balance zwischen konzentriertem Arbeiten ohne Unterbrechungen und kurzen Pausen zu finden. To-do-Listen zum Beispiel können dabei helfen, die Balance bewusst zu halten. Sie sind nützlich, um den Tag zu strukturieren und dem Gefühl der Überforderung durch zu viele verschiedene parallele Projekte entgegenzuwirken. Mark beispielsweise nutzt dafür aktuell eine altmodische, aber doch sehr wirksame Methode: sie überlegt sich morgens alle Dinge, die sie an einem Tag erledigen will und notiert sie auf Post-its, die sie sich ins Sichtfeld an den Bildschirm klebt. So ist sie sicher, nichts zu vergessen. «Das Arbeitsgedächtnis ist so entlastet», sagt Gloria Mark. Eine weitere Methode ist das Einteilen der Arbeit in Mikrotasks, also überschaubare, kleine Aufgaben.

Mikrotasking statt Multitasking

«Das Gehirn arbeitet auf der Basis von Belohnungen», sagt Daniel Schneider, Leiter der Nachwuchsgruppe «Arbeitsgedächtnis» am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund , «und jede erledigte Aufgabe ist eine Belohnung, auch wenn sie klein ist.» Mikrotasks könnten also helfen, kleine Etappenziele zu schaffen, die dann wiederum die Motivation erhöhen, weiter zu arbeiten. «Wirklich konzentriert an einer Aufgabe zu arbeiten, ist sehr Ressourcen fordernd», sagt er, «das ändert sich aber, wenn man etwas tut, was einen wirklich motiviert.» Dann gebe es ständig kleine Belohnungen. «Und wenn mein Dopaminsystem ständig aktiviert bleibt, kann ich immer weiter arbeiten.»

Allerdings weist auch er darauf hin, dass es sicherlich nicht einfach ist, Aufgaben in Form von Mikrotasks vorzustrukturieren, weil das Bedürfnis nach Unterbrechungen und Pause je nach Aufgabenart und Persönlichkeit variiert. «Wenn ich aber eine Blockade habe und nicht ins Arbeiten komme, macht es sicherlich Sinn, kleine Aufgaben zu erfüllen, um durch den Belohnungseffekt in grössere Aufgaben zu kommen.»

Das Gehirn möchte auch mal «nichts» tun

Allerdings sollte man sich gut beobachten, wenn man beginnt, mit solchen Mikrotasks zu arbeiten. Die Gefahr ist nämlich, dass man sich damit jede Lücke mit Arbeit füllt. Und wenn es mal nicht so fliesst beim Arbeiten, kann es auch daran liegen, dass das Gehirn eine Pause braucht und einfach mal nichts tun will. Was das Gehirn tut, wenn wir «nichts» tun, erforschen Hirnforscher seit den 1990er Jahren, als dank der besser werdenden funktionellen Magnetresonanztomographie das sogenannte «Default Mode Network» entdeckt wurde: ein Netzwerk im Gehirn, das dann aktiv ist, wenn Probanden keine bestimmte Aufgabe erledigten. Das DMN ist aktiv, wenn wir uns nicht bewusst auf etwas konzentrieren – also wenn wir Pause machen.

Im Laufe der Jahre wurden viele Korrelationen gefunden, beispielsweise zeigte sich, dass Menschen mit bestimmten Aktivitäten in diesem Netzwerk bessere kognitive Fähigkeiten haben und in Intelligenztests besser abschnitten, später wurden Zusammenhänge zu mehr Zufriedenheit, Konzentrationsfähigkeit und Empathie gefunden. Hirnforscher und Hirnforscherinnen führen auch sogenannte «Geistesblitze» oder gute Ideen auf die Aktivitäten im DMN zurück. Doch das springt nur an, wenn wir uns Pausen gönnen.

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