Das musst du wissen

  • Die meisten Impfwirkungen treten sofort oder binnen Stunden nach der Impfung auf – zum Beispiel Fieber oder Allergien.
  • Langzeitfolgen verursachen lange dauernde oder bleibende Schäden. Sie treten meist einige Wochen nach der Impfung auf.
  • Hinweise auf Langzeitfolgen gibt es nach eineinhalb Jahren Studiendaten bisher keine. Das Monitoring geht aber weiter.
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Noch nie hat sich die Bevölkerung so sehr für Nebenwirkungen interessiert wie jetzt. Das merkt auch Christoph Küng. Er ist Leiter der Abteilung Arzneimittelsicherheit von Swissmedic, die sich mit der Aufdeckung unerwünschter Impfwirkungen befasst. «Wir erhalten unüblich viele Meldungen, rund die Hälfe davon von Privatpersonen», sagt Küng. Das liegt einerseits am enormen Bewusstsein für das Thema, andererseits am aussergewöhnlich hohen Impfvolumen.

Christoph Küng.KEYSTONE/Alessandro della Valle

Christoph Küng, Leiter Abteilung Arzneimittelsicherheit bei Swissmedic.

Insgesamt gingen bis zum 21. September 7571 Verdachtsmeldungen unerwünschter Wirkungen ein, mehr als zehn Millionen Impfdosen waren bis dahin verabreicht worden. Das bedeutet, pro hunderttausend Impfdosen gibt es rund siebzig Meldungen. Etwa ein Drittel stuften die Meldenden als schwerwiegend ein. Dabei handelt es sich aber erst um Verdachtsfälle, die von Swissmedic anschliessend genau abgeklärt werden müssen. Den Fachpersonen geben diese Meldungen – zusammen mit Studiendaten und Meldungen aus anderen Ländern – ein gutes Bild davon, was nach einer Covid-19-Impfung zu erwarten ist. «Alles, was zwei bis drei Wochen nach der Impfung auftritt, kennen wir unterdessen», sagt Küng. Dazu gehören bekannte Impfreaktionen, wie der Experte sie nennt. Das sind etwa Kopfschmerzen, Fieber oder Schüttelfrost. Aber auch über seltene unerwünschte Impfwirkungen weiss man Bescheid. Ein Beispiel hierfür sind die seltenen Entzündungen des Herzmuskels und Herzbeutels, die nach Einschätzung von Swissmedic möglicherweise der Impfung zuzuschreiben sind.

Langzeitfolgen und Langzeitnebenwirkungen sind nicht dasselbe

«Es muss immer bedacht werden, dass Beschwerden wegen Nebenwirkungen auch länger andauern können», sagt Küng. Wenn Nebenwirkungen, die früh auftreten, für längere Zeit anhalten, sprechen Fachpersonen von «Langzeitfolgen». Also nicht weil sie spät auftreten, sondern weil sie lange dauernde oder bleibende Schäden verursachen. Diese werden gerne mit Langzeitnebenwirkungen verwechselt, die einige Monate oder Jahre nach der Impfung auftreten könnten. Solche Langzeitnebenwirkungen sind bei Medikamenten eher möglich, nach Impfungen jedoch nicht zu erwarten. Denn Impfstoffe werden anders als Medikamente nicht regelmässig und über längere Zeit eingenommen.

Doch wie steht es nun mit echten Langzeitfolgen? «Bisher gibt es keine Hinweise darauf, dass es solche gibt», sagt der Swissmedic-Experte. Dies der Stand des Wissens rund zehn Monate nach Impfstart in der Schweiz und weltweit, und gut eineinhalb Jahre nach Beginn der klinischen Studien. «Ausschliessen lassen sich Langzeitfolgen damit zwar nicht», sagt Küng, «aber sie sind bei Impfungen generell sehr selten».

Ein Beispiel für eine Langzeitfolge nach Impfung ist die vielgenannte Narkolepsie: eine Autoimmunerkrankung, die einige Kinder und Jugendliche rund drei Monate nach der Pandemrix-Impfung gegen die Schweinegrippe 2009 entwickelten. Betroffen waren allerdings sehr wenige Menschen, da die Krankheit nur bei bestimmten genetischen Merkmalen im Erbgut ausbricht. Bis 2015 waren 1300 Fälle bei rund dreissig Millionen Impfdosen bekannt.

Keine Frist für Nebenwirkungs-Monitoring

Solch einen Extremfall erwartet man bei Swissmedic bei der aktuellen Impfung gegen Covid-19 nicht – aufgrund der inzwischen hohen Zahl weltweit geimpfter Personen ohne entsprechende Hinweise. Küng und sein Team beobachten die Sache aber weiterhin genau. Für die Meldung von Impfnebenwirkungen gibt es keine Frist. Je länger aber die Impfung zurück liegt, desto schwieriger ist es, einen Zusammenhang zu der Impfung herzustellen. Denn nach Monaten oder gar Jahren ist die Impfung neben den Umweltfaktoren und dem Lebensstil nur noch ein Faktor unter vielen, der für ein gesundheitliches Problem verantwortlich sein kann. Nach derart langer Zeit ist es praktisch unmöglich, bei einem einzelnen Menschen solch einen Zusammenhang herzustellen. Nur mit grossen Beobachtungsstudien mit zehntausenden von Teilnehmenden und allenfalls sogar über mehrere Generationen hinweg könnten im besten Falle eine Korrelation zwischen einem bestimmten Leiden und einer Impfung herstellen – kausale Zusammenhänge aufzuzeigen, ist nach so langer Zeit nicht mehr möglich.

Dies sei generell ein wichtiger Punkt in der Diskussion über Nebenwirkungen, meint Küng. «Gewisse Leute tun so, als hätte es vor der Covid-Impfung beispielsweise keine Schlaganfälle gegeben». Und dies verfälscht auch die Statistik der Nebenwirkungen. Aber ein zeitlicher Zusammenhang sei, wie Küng sagt, noch lange kein kausaler Zusammenhang. So landet zum Beispiel jemand, der in den Wochen nach der Corona-Impfung an einem Schlaganfall stirbt – bei einer Meldung –, in der Statistik der vermuteten Nebenwirkungen. Auch wenn der Schlaganfall per se nichts mit der Impfung zu tun habe. «Den Schlaganfall hätte die Person höchstwahrscheinlich auch ohne Impfung erlitten». Beispielsweise wegen jahrelangem Bluthochdruck und dessen Folgeschäden. Ein sehr geringes Risiko für Sinus- und Hirnvenenthrombosen im Gehirn – also Gefässverschlüsse und damit eine Form von Schlaganfall – besteht einer Studie aus Deutschland zufolge nach einer Impfung mit dem Vektorimpfstoff von Astrazeneca. Bei den beiden mRNA-Impfstoffen hingegen sind die Zahlen gegenüber der erwartbaren Zahl von Sinusthrombosen bisher nicht erhöht.

Höheres Risiko für Langzeitwirkungen nach einer Infektion

Doch was tun, wenn man sich trotz allem vor Langzeitfolgen oder Langzeitnebenwirkungen fürchtet? «Das beste Argument, um den Menschen diese Angst zu nehmen», sei gemäss Küng, «dass auch die Erkrankung an Covid-19 das Risiko von Langzeitfolgen mit sich bringt.» Und er fügt als Beispiel wieder die Herzmuskelentzündung an: Eine solche tritt nach einer Covid-Impfung bei etwa 25 von einer Million geimpften Männern im Alter von 18 bis 29 auf. Ungleich höher ist das Risiko bei einer Covid-Erkrankung, wie eine Studie bei jungen Athleten zeigt: Eine Herzmuskelentzündung trifft eine von hundert erkrankten Personen. Eine grosse Studie aus Israel, die das Risiko über alle Altersgruppen in der Gesamtbevölkerung untersuchte, zeigt: Im Schnitt waren knapp drei von hunderttausend Geimpften betroffen und zehn von hunderttausend Nichtgeimpften.

Science-Check ✓

Studie: Safety of the BNT162b2 mRNA Covid-19 Vaccine in a Nationwide SettingKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsDie Studie verglich die Häufigkeit verschiedener Nebenwirkungen nach einer Impfung mit dem mRNA-Impfstoff von Biontech/Pfizer und einer Corona-Infektion in Israel. Sie schliesst mehrere hunderttausend Personen ein, was sie sehr zuverlässig macht. Gewisse Personen wurden von der Studie aber ausgeschlossen, zum Beispiel Beschäftigte im Gesundheitswesen oder solche, die in Langzeitpflegeeinrichtungen leben. Dies ist bei der Verallgemeinerung der Ergebnisse zu beachten.Mehr Infos zu dieser Studie...

Dieses Beispiel verdeutlicht, dass durch die Impfung grundsätzlich nichts anderes zu erwarten ist, als was auch eine Infektion auslösen könnte. Nur, dass das Risiko bei einer Infektion deutlich höher liegt. Und einer solchen könne man nicht entgehen, ist Küng überzeugt. Denn über kurz oder lang werden alle Personen in der Schweiz mit dem Virus in Kontakt kommen. Die einen ungeimpft, die anderen geimpft. «Nun kann man selber abwägen, ob man sich dem durch eine natürliche Infektion unkontrolliert aussetzen möchte, oder dies durch eine Impfung lieber kontrolliert tue», sagt Küng. Also mit weniger Unsicherheit und einem guten Schutz vor schweren Krankheitsverläufen.

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