Das musst du wissen

  • Die Zahl der Fälle steigt, doch hauptsächlich unter den Jüngeren zwischen 20 und 39.
  • Es gibt vergleichsweise wenige Einweisungen ins Spital und wenige Todesfälle wegen Covid-19.
  • Wahrscheinlich ist das so, weil die Schutzmassnahmen wirken, an die wir uns gewöhnt haben. Wir brauchen sie weiterhin.

Die Epidemie kehrt zurück, langsam, aber sicher. Die Zahl der täglich neu auftretenden Fälle nimmt seit Ende Juni stetig zu. Bereits mehrere Mal hat das Bundesamt für Gesundheit (BAG) bekannt gegeben, dass die Schweiz die symbolische Marke von 300 Neuinfektionen in 24 Stunden überschritten hat. Die tatsächlichen Neuinfektionen und die vom BAG getwitterten Fälle unterscheiden sich täglich, da allfällige Korrekturen an den Fallzahlen nachträglichen vorgenommen werden.

Warum wir darüber schreiben. Wir verfolgen die Entwicklung der Epidemie in der Schweiz seit Ende Februar. Was im Sommer 2020 geschieht, unterscheidet sich stark von den Ereignissen im März und April. Zum einen sind die Krankenhausaufenthalte und Todesfälle nach wie vor sehr gering. Zum anderen steigen die Fallzahlen nicht so rapide wie noch im März. Doch die Situation Ende August ist angespannt und könnte schnell zu einem spektakulären Wiederanstieg führen. Was können wir also aus der gegenwärtigen Situation lernen? Eine numerische Analyse.

Was beruhigt

Trotz täglich steigender Fallzahlen gibt es gute Gründe, einen kühlen Kopf zu bewahren. Hier sind die wichtigsten.

  • Langsamer Anstieg. Derzeit steigen die Fälle nicht so rapide wie zu Beginn der Epidemie. Die täglichen neuen Fälle stiegen innerhalb zweier Monate von 37 am 19. Juni auf 346 am 20. August.
  • Zum Vergleich: Anfang März schnellte die Zahl der neuen Fälle pro Tag in die Höhe: 49 neue Fälle am 7. März; 69 am 8. März; 192 am 9. März; 210 am 10. März; 333 am 11. März; 355 am 12. März; 429 am 13. März; 416 am 14. März; 323 am 15. März; 1056 am 16. März; 1081 am 17. März. Eine derartige Veränderung haben wir in der gleichen Zeitspanne im Sommer, vom 12. bis zum 22. August offensichtlich nicht beobachtet, wie du auf der interaktiven Grafik oben sehen kannst.
  • Das Testvolumen spielt bei der Erkennung positiver und negativer Fälle eine Rolle: je mehr man testet, desto mehr Fälle findet man. Wenn du dir die Veränderungen in der Anzahl der täglich durchgeführten Tests seit März ansiehst, kannst du feststellen, dass es einen Trend gibt, gemäss dem jetzt mehr Tests durchgeführt werden als zwischen April und Juni, aber weniger als im März:
Quelle: BAG
  • Zunahme von Infektionen, insbesondere in der Altersgruppe der 20- bis 39-Jährigen. Im letzten Wochenbericht des BAG, der am 19. August veröffentlicht wurde und der einen Überblick über die Epidemie vom 10. bis 16. August gibt, ist eine Beschleunigung der Infektionen in der Altersgruppe der 20- bis 39-Jährigen deutlich sichtbar:
Quelle: BAG
  • Wenige Hospitalisierungen. Das Virus breitet sich also in einer Bevölkerung aus, die ein geringeres Risiko hat, schwere Symptome von Covid-19 zu entwickeln. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese jüngeren Infizierten ins Krankenhaus müssen ist geringer als für ältere Infizierte. Im Zeitraum vom 10. bis zum 16. August wurden landesweit 32 Krankenhauseinweisungen verzeichnet. Betrachtet man die Entwicklung von Woche zu Woche, so bleibt die Zahl der wöchentlichen Krankenhauseinweisungen stabil:
Quelle: BAG
  • Sehr wenige Todesfälle. Die Zahl der coronabedingten Todesfälle ergeben eine flache Kurve. Das heißt, 5 Todesfälle vom 3. bis 9. August und 5 vom 10. bis 16. August. Diese Grafik des BAG vermittelt eine genauere Vorstellung von der Entwicklung der Todesfälle durch Covid-19 in den letzten Monaten:
Quelle: BAG
  • Die TTIQ-Strategie funktioniert. Das derzeit angewendete System aus Testen, Tracing, Isolation und Quarantäne (TTIQ) ermöglicht es, die Entwicklung der Epidemie zu kontrollieren. Das System und seine Anwendung sind zwar nicht perfekt, aber durch die Isolierung einer grossen Mehrheit der Infizierten und die Quarantäne ihrer Kontakte ist es möglich, die Situation unter Kontrolle zu halten. Diese Strategie werde beibehalten bestätigt BAG-Sprecher Yann Hulmann:

«Es ist wichtig, dass ausreichende Kapazitäten (Tests und Kontakt-Tracer) für TTIQ zur Verfügung stehen, dass die Bevölkerung im Falle von Symptomen frühzeitig getestet werden kann und dass sie die Isolations- und Quarantänebestimmungen einhält.»

  • Am 20. August befanden sich 1572 Personen in Isolation, 4821 in Quarantäne und 14.181 in Quarantäne, weil sie aus Risikoländern zurückgekehrt waren. Doch diese Strategie hat ihre Grenzen. Genf warnte, dass die Zunahme der Fälle im Kanton die erfolgreiche Rückverfolgung von Kontakten gefährdet. Generell gilt: Falls die Zahl der neuen Fälle weiterhin stetig steigen sollte, müsste die Strategie «Testen, Tracing, Isolation und Quarantäne» überarbeitet werden. Wie genau ist noch nicht klar.
  • «Re» bleibt am Boden: Die berühmte effektive Reproduktionsrate des Virus «Re» (higgs berichtete) ist recht stabil:
Quelle: Covid-19 Science Task Force
  • Hygienemassnahmen. Seit März hat sich unser Verhalten geändert. Wir tragen Masken, wir halten Abstand, wir geben uns nicht mehr die Hand, aber wir waschen sie viel öfter. Diese individuellen Verhaltensweisen gab es im März nicht. Zusammengenommen scheinen diese Hygienemassnahmen, wenn sich alle daran halten, die Ausbreitung des Virus recht wirksam zu verlangsamen. Eine von der Schweizer Armee durchgeführte und in der Zeitschrift «Clinical Infectious Diseases» veröffentlichte Studie «bestätigt die Schutzwirkung einer körperlichen Distanzierung und des Tragens einer Maske gegen die Übertragung von Sars CoV-2. Sie gibt der Hypothese, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen der Viruslast und dem Schweregrad von Covid-19, neuen Auftrieb. Die Übertragung von Sars-CoV-2 zwischen mehreren Baracken wurde verglichen, als Massnahmen wie Abstandhalten (mindestens 2 Meter) oder das Tragen von Masken (wenn Abstandhalten nicht möglich ist) in Kraft traten. Unter den Baracken war eine, die anfänglich frei von Covid-19 war. Die Ergebnisse zeigen, dass diese Massnahmen zwar nicht vollständig vor einer Infektion schützen, dass sie aber dennoch eine bedeutende Schutzwirkung haben. Darüber hinaus scheinen sie das Auftreten von symptomatischen Formen bei Infizierten zu verhindern», schreibt Stéphane Korsia-Meffre auf Vidal.fr.

Was nicht beruhigt

Der gegenwärtige Aufwärtstrend ist besorgniserregend, da all die kleinen, im ganzen Land verstreuten Feuerstellen ein unkontrollierbares Brandpotenzial in sich bergen. Der Kanton Genf hat Alarm geschlagen, indem er bekannt gab, dass die Kapazitäten zur Kontaktverfolgung erschöpft sind, und der Kanton Neuenburg hat gerade auf die Alarmstufe Gelb umgeschaltet. Auch andere Kantone ergreifen Massnahmen, die dem aktuellen Anstieg der Fallzahlen geschuldet sind, etwa Basel-Stadt und Zürich, die ab dem 24. August beziehungsweise ab dem 27. August das Tragen einer Maske in Geschäften zur Pflicht machen. Die folgenden Dinge sind am beunruhigendsten.

  • Furcht vor einem exponentiellen Anstieg. Gemäss den in der Schweiz verfügbaren Daten zirkuliert das Virus derzeit vor allem unter der jungen Bevölkerung. Die Gefahr einer Überlastung des Spitalwesens – eine Befürchtung, die den Bundesrat im März zu seinen Eindämmungsmassnahmen veranlasste – ist sehr gering. Auf der individuellen Ebene führt dies dazu, dass Hygienemassnahmen eher locker gehandhabt werden.
  • Auf der Ebene der Bevölkerung sind die jüngsten Infizierten «die möglichen zukünftigen Ansteckungsherde der übrigen Bevölkerung», wie Dr. Daniel Lévy-Bruh, Epidemiologe und Leiter der Abteilung für Atemwegsinfektionen und Impfungen bei «Santé publique France», im «Le Figaro» hervorhebt. Eine solche Situation würde sich exponentiell auf die Epidemie auswirken. Es ist sehr schwierig, die Möglichkeit eines solchen Ausbruchs vorherzusagen, bestätigt Yann Hulmann:

«Gegenwärtig können wir nicht vorhersagen, ob und wann es einen weiteren exponentiellen Anstieg geben wird. Wichtig ist, dass die Kantone rechtzeitig Massnahmen ergreifen, um die Kontrolle über die Neuinfektionen zu behalten».

  • Die Schwächen von «Re». Die effektive Reproduktionsrate («Re») des Virus ist ein wesentlicher Indikator dafür, ob die Epidemie sich weiter ausbreitet oder nicht. Diese Zahl gibt aber immer nur die Situation von vor 10 Tagen wieder. So stammen die letzten am 21. August verfügbaren Zahlen vom 10. August. Da «Re» momentan ziemlich stabil ist, ist der Wert derzeit, bei steigenden Fallzahlen, schwer zu interpretieren.
  • Auf dem Weg zu einer Zunahme der Krankenhausaufenthalte? Yann Hulmann vom BAG fasst zusammen, was uns bevorsteht:

«Es ist wahrscheinlich, dass die Krankenhauseinweisungen in den kommenden Wochen zunehmen werden, da mit der wachsenden Gesamtzahl der Infektionen auch die Gesamtzahl der Infizierten in den Risikogruppen steigt, auch wenn ihr relativer Anteil gering ist. Darüber hinaus gibt es auch schwere Formen von Covid-19 bei jungen Menschen.»

  • Die Zahlen. Das BAG hat nach wie vor Mühe, absolut zuverlässige und aktuelle Daten zu erhalten und zu liefern. In den letzten Wochen sind deutliche Verbesserungen erzielt worden, aber die Diskrepanz zwischen den Kantonen und dem BAG bei den täglichen Daten besteht weiterhin.

Was wir tun können

Wie Yann Hulmann betont, sollten die Konzepte der kantonalen und eidgenössischen Behörden es ermöglichen, die Bevölkerung rechtzeitig zu alarmieren:

«Es sind in erster Linie die Kantone, die beurteilen müssen, ob die Situation vor Ort überschaubar ist oder ob zusätzliche Massnahmen notwendig sind. Die Situation wird auf Bundes- und Kantonsebene genau beobachtet, und in den Risikoanalysen werden verschiedene Faktoren berücksichtigt: die absoluten Infektionszahlen, die Zahlen der Spitaleinweisungen und die Zahl der Patienten auf den Intensivstationen sowie die Dynamik der Entwicklung der Fallzahlen. Darüber hinaus spielt auch die Fähigkeit der Kantone, mit der Epidemie fertig zu werden, wie zum Beispiel die Ermittlung von Kontaktpersonen, eine wichtige Rolle.»

Auf individueller Ebene ist es am besten, nicht in Panik zu verfallen. Aber du solltest so tun, als ob das Leben deines Grossvaters oder deines kleinen Bruders, der sich gerade von Leukämie erholt, davon abhinge, dass du die Hygienemassnahmen einhältst. Dich persönlich mag Covid-19 nicht so sehr betreffen, doch für jemanden, der dir nahesteht, kann die Krankheit grausam sein.

Da sich die Wirksamkeit der eingeführten Schutzmassnahmen zu bestätigen scheint, wie insbesondere die oben zitierte Studie der Schweizer Armee nahelegt, müssen sie verstärkt werden. Auch wenn das Coronavirus dadurch zwar nicht vollständig eliminiert wird, so wird dies seine Ausbreitung doch verlangsamen und eine drohende Überlastung der Spitäler so lange wie möglich verhindern.

Anmerkung: Ursprünglich stand in diesem Beitrag, dass die Anzahl der Fälle, die positiv auf das Coronavirus getestet wurden, im Gegensätz zum März nicht exponentiell steigt. Dies haben wir korrigiert zu «nicht so drastisch» wie im März.
Dieser Beitrag wurde erstmals auf Heidi.news veröffentlicht. Unsere Autorin Cornelia Eisenach hat ihn aus dem Französischen übersetzt.

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Hier gibt es Wissenswertes aus der Westschweiz. Die Beiträge stammen von unserem Partner-Portal Heidi.news, wir haben sie aus dem Französischen übersetzt. Heidi.news ist ein Online-Portal, das im Mai 2019 lanciert wurde und das sich unter anderem auf die Berichterstattung über Wissen und Gesundheit spezialisiert. Die Partnerschaft zwischen Heidi.news und higgs ist durch eine Kooperation mit dem Schweizerischen Nationalfonds SNF entstanden.
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