Priska Baur, Ausgangspunkt Ihrer Forschung ist die «ressourcenschwere» Schweizer Esskultur. Was meinen Sie damit?
Der Begriff Esskultur soll zeigen, dass Ernährungsgewohnheiten über lange Zeit entstehen, weshalb sie sich auch nicht einfach von heute auf morgen verändern. Ressourcenschwer ist unsere Esskultur, weil Fleisch und Milch im Zentrum sind. Das belegen auch Statistiken. So stehen in der Schweiz pro Kopf rund doppelt so viel Fleisch und vier Mal so viel Milch zur Verfügung als im globalen Durchschnitt. Tierische Nahrungsmittel benötigen insgesamt aber mehr Land, Energie und weitere natürliche Ressourcen und verursachen mehr Umweltbelastungen als pflanzliche.

Priska Baur

Agrarökonomin

Priska Baur ist Agrarökonomin und forscht und lehrt am Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen (IUNR) der ZHAW in Wädenswil. Im Rahmen des Forschungsprojekts Novanimal, das vom Schweizerischen Nationalfonds gefördert wurde, beschäftigt sie sich unter anderem mit der Frage, wie der Fleischverzehr in der Gemeinschaftsgastronomie für alle Seiten gewinnbringend reduziert werden kann. Weitere Informationen unter www.novanimal.ch.

Wieso haben wir diese Esskultur?
Die natürlichen Voraussetzungen, also das knappe Ackerland, das viele Grasland und der grosse Anteil an Berggebieten, haben dazu geführt, dass sich die Schweizer Landwirtschaft schon im 19. Jahrhundert auf Viehzucht und Milchproduktion spezialisiert hat. Hinzu kommen gesellschaftliche und politische Gründe. Fleisch auf dem Teller war früher ein Zeichen von Wohlstand.

Mit den steigenden Einkommen wurde mehr Fleisch gegessen.
Genau. Aber auch die Schweizer Agrarpolitik der vergangenen 100 Jahre hat zur Herausbildung unserer Esskultur beigetragen. Nicht nur die Produktion von Milch und Fleisch wurde und wird mit Subventionen gefördert, sondern auch der Konsum. Ein Beispiel dafür ist die Werbung des Branchenverbands Proviande, die vom Bund mitfinanziert wird. Legendär ist die jahrelange Kampagne «Schweizer Fleisch – Alles andere ist Beilage».

Müssen wir alle zu Veganern werden, wenn wir die Umwelt mit unserer Ernährung weniger belasten wollen?
Nein, um den durchschnittlichen Fleischkonsum deutlich zu senken, müssen wir nicht alle zu Vegetarierinnen oder Veganern werden. Trotzdem wäre es in unser aller Interesse, wenn es mehr von ihnen gäbe als heute.

Gibt es einen goldenen Mittelweg?
Es gibt sogar viele goldene Mittelwege. Ein grosses Potenzial sehe ich in der wachsenden Gruppe der Flexitarier, die wenig Fleisch essen, dafür bewusst. Ein moderater Fleischkonsum ist eine robuste Strategie für eine ökologisch nachhaltigere Ernährung. Allerdings reicht das nicht. Die gesamte Agrarproduktion, auch die pflanzliche, muss ökologisch intelligenter werden.

«Die gängige Schlussfolgerung ‹wenn Fleisch, dann Poulet› greift aus vielen Gründen zu kurz»

Was müsste sich ändern?
Die Schweizer Landwirtschaft ist auf die Tierproduktion spezialisiert, was zu einer ungünstigen Energiebilanz führt: Für die Produktion einer Kilokalorie Essen braucht es mehr als zwei Kilokalorien fossile Energieträger. Auf 80 bis 90 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche wird Wiesen- und Ackerfutter für die Tiere produziert. Weil das aber immer noch nicht ausreicht, kommen beträchtliche Futtermittelimporte hinzu.

Man müsste den Tierbestand herabsetzen.
Primär müsste die Schweine- und Pouletmast reduziert werden. Die natürlichen Standortbedingungen in der Schweiz begünstigen die kombinierte Produktion von Milch und Rindfleisch mit sogenannten Zweinutzungsrassen. Die Entwicklung geht aber schon länger in Richtung Hochleistungsrassen, die entweder Milch oder Fleisch liefern. Diese Tiere brauchen Kraftfutter, um ihr Leistungspotenzial auszuschöpfen und gesund zu bleiben.

Rindviehhaltung anstatt Geflügel? Ist die Produktion von Rindfleisch nicht besonders problematisch?
Die gängige Schlussfolgerung «wenn Fleisch, dann Poulet» greift aus vielen Gründen zu kurz. Rinder sind sogenannte Raufutterverwerter. Das heisst, sie können im Unterschied zu Schweinen und Geflügel von Wiesenfutter leben. Die Schweiz ist ein Grasland und die Rindviehhaltung mit Zweinutzungsrassen deshalb eine ökologisch sinnvolle Nutzung einer Ressource, die die menschliche Ernährung nicht konkurrenziert.

«Schätzungsweise die Hälfte des Fleischs wird auswärts gegessen»

Wo liegt das Problem beim Geflügel?
Die Schweizer Geflügelbestände haben sich in den vergangenen 20 Jahren verdoppelt. Zwar wandeln Mastpoulets Soja und andere Futtermittel in 30 bis 40 Tagen höchst effizient in Fleisch um, doch diese industrielle Massenproduktion geht damit einher, dass die Tiere zu Fleischproduktionsapparaten degradiert werden. Da das Futter zugekauft wird, braucht es auch kein Landwirtschaftsland. Es stellt sich die Frage, ob die Pouletmast überhaupt in die Landwirtschaftszone gehört und weshalb sie durch Zölle geschützt und gefördert werden soll. Die Schweizer Landwirtschaft insgesamt profitiert wenig vom Poulet-Boom. Denn für die Jahresproduktion von rund 70 Millionen Mastpoulets ist knapp ein Prozent aller Landwirtschaftsbetriebe zuständig.

So oder so wäre es sinnvoll, unsere Ernährungsgewohnheiten zu ändern. Wie aber soll das gehen?
Ich bedaure, dass oft nur extreme Lösungen diskutiert werden, wie eben der totale Verzicht auf Fleisch. Ich halte diese Zuspitzung für unnötig und sogar kontraproduktiv. Eine vermehrt pflanzliche Ernährung ist zweifellos der richtige Weg, aber die konkrete Umsetzung kann sehr unterschiedlich aussehen. Umso mehr als die Menschen unterschiedliche Vorlieben und Wertvorstellungen haben. Neue Ernährungsgewohnheiten können nicht erzwungen, aber erleichtert werden. Und da setzen wir mit unserer Forschung an.

Sie forschen im Bereich der Ausser-Haus-Verpflegung. Wieso konzentrieren Sie sich gerade auf die Gastronomie?
Im Durchschnitt wenden Schweizer Haushalte 40 Prozent ihrer Ernährungsausgaben ausser Haus auf. Schätzungsweise die Hälfte des Fleischs wird auswärts gegessen. Gerade in der Gemeinschaftsgastronomie sehen wir grosses Potenzial, weniger auf Fleisch zu setzen und so ressourcenleichtere Ernährungsgewohnheiten mit weniger tierischen Produkten zu fördern. Dabei gehen wir davon aus, dass immer mehr Menschen offen dafür sind, weniger Fleisch zu essen, aber nur, wenn dies kein Verzicht ist. Das vegetarische Angebot lässt aber meistens sehr zu wünschen übrig und das vegane erst recht.

Warum mangelt es oft an guten vegetarischen und veganen Alternativen?
Wir haben ein «Was war zuerst: Huhn oder Ei?»-Dilemma. Die Gastronomie ist überzeugt, das zu kochen, was die Gäste wollen. Dass die Gäste sich mehrheitlich für ein Fleischgericht entscheiden, bestätigt wiederum, dass Fleisch gewünscht wird. Aus Sicht vieler Gäste ist es jedoch eine Frage des Angebots: Wenn es viele attraktive Fleischgerichte gibt und wenige unattraktive vegetarische, die auch noch als solche markiert sind, dann wird ein Fleischgericht bestellt. Umso mehr als Fleisch in der Gastronomie vergleichsweise preiswert ist. Ein grundsätzliches Hindernis ist, dass vegetarische und vegane Gerichte für eine vegetarische und vegane Minderheit gekocht werden. Damit entfällt der Anreiz, attraktive Gerichte anzubieten, die auch anspruchsvollere Flexitarierinnen und Fleischesser begeistern könnten.

Dazu haben Sie an zwei Hochschulkantinen ein zwölfwöchiges Experiment durchgeführt. Was kam dabei heraus?
In den vegilastigen Wochen ging der Anteil Fleischgerichte bei den Frauen von 39 auf 28 Prozent und bei den Männern von 65 auf 50 Prozent zurück – ohne dass die Kundenzufriedenheit darunter gelitten hätte. Vegilastig heisst, dass während dieser Wochen statt der üblichen zwei Fleischmenüs und einem vegetarischen Menü ein Fleischgericht, ein vegetarisches und ein veganes Gericht in den Kantinen angeboten wurden. Die meisten Gäste schienen das veränderte Angebot gar nicht wahrzunehmen. Überraschend deutlich war der Unterschied zwischen den Geschlechtern. Die Männer zeigten doppelt so häufig ein fleischlastiges Verpflegungsmuster wie die Frauen: 69 Prozent der Männer wählten mindestens jedes zweite Mal ein Fleischgericht, bei den Frauen waren es 35 Prozent. Unerwartet für das Küchenteam war, dass vegetarische und vegane Gerichte auch auf der teuersten Menü-Linie verkauft werden konnten. Es kam mehr als einmal vor, dass das teurere vegetarische Gericht ausverkauft war. Das wiederum bestätigt unsere Annahme, dass vegetarische Gerichte durchaus gefragt sind, wenn die Qualität stimmt.

Was schlagen Sie vor?
Das Plus einer pflanzlichen Ernährung ist, dass sie zu mehr Vielfalt und Kreativität auf dem Teller inspiriert. Dazu braucht es aber mehr Spezialisierung und Professionalisierung in der Küche. Denn attraktive vegetarische oder sogar vegane Gerichte zu kochen, muss geübt werden. Hier könnte eine neue auf die vegetarische und vegane Küche spezialisierte Berufslehre helfen. Weniger tierische Nahrungsmittel zu essen, darf kein Verzicht, sondern muss lustvoll sein.

Umweltschonend essen – was passt zu mir?

Es gibt viele Ansatzpunkte, um die eigenen Ernährungsgewohnheiten ressourcenleichter zu machen. Wer die Umwelt schonen möchte und gleichzeitig das Töten von Tieren ablehnt, für die oder den passt eine vegetarische oder sogar vegane Ernährung. Wer sehr gern Fleisch isst und sich gleichzeitig um die Umwelt sorgt, für den bietet sich an, möglichst das ganze Tier «from nose to tail» zu essen. Wer gern ab und zu Fleisch isst, aber grossen Wert auf den Tierschutz legt, der ist gut beraten, im Restaurant kein Fleischgericht zu wählen, da die Produkte in der Gastronomie aus wirtschaftlichen Gründen selten aus Tierhaltungen mit hohen Standards stammen. Wem eine standortangepasste Tierproduktion und eine artgerechte Zucht wichtig sind, der verzichtet auf Poulet. Besser passt dann Fleisch von Milchkühen und ihren Nachkommen. Unabhängig von der Sorte geniesst man Fleisch am besten als seltene Delikatesse. Dies wäre auch im Einklang mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung (SGE), die maximal zwei bis drei Portionen Fleisch pro Woche empfehlen. Dies entspricht ungefähr 240 bis 360 Gramm Fleisch, also weniger als die Hälfte von dem, was in der Schweiz heute durchschnittlich konsumiert wird.
Dieser Beitrag erschien erstmals im doppelpunkt.
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