Das musst du wissen

  • Seit 1997 arbeiten Nasa und Esa am bisher grössten Weltraumteleskop, nun steht der Start kurz bevor.
  • Die Erwartungen sind gross: Der Vorgänger Hubble war ein Meilenstein der Weltraumforschung.
  • James Webb ist jedoch erheblich komplexer und muss bis zur ersten Fotoaufnahme noch hohe Hürden überwinden.
Den Text vorlesen lassen:

Am 12. Oktober 2021 war es endlich so weit: Das James-Webb-Weltraumteleskop erreichte den Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guyana. Damit bog die teuerste unbemannte Weltraummission aller Zeiten auf die Zielgerade ein: Bis zum Start am 18. Dezember wird das gewaltige Weltraumteleskop nur noch auf eine Rakete verladen.

Damit geht eine mehr als zwanzigjährige Vorbereitungsphase zu Ende: 1996 einigten sich die Weltraumagenturen Nasa und Esa auf die Entwicklung des «Next Generation Space Telescope», das ursprünglich 2011 abheben sollte. Doch «Webb», wie das Teleskop auch genannt wird, verzögerte sich immer wieder. Für die Agenturen ist das nicht besonders aussergewöhnlich, denn ein Entwicklungsprojekt, das sich am Rande der Machbarkeit bewegt, braucht schlussendlich so lange, wie es halt braucht.

Nachfolger für einen Meilenstein

Um zu verstehen, warum die Raumfahrtagenturen so einen enormen Aufwand für ein Weltraumteleskop betreiben, müssen wir einen Blick zurück auf das Hubble-Weltraumteleskop werfen. Seit 1990 macht das Teleskop in seiner Erdumlaufbahn Aufnahmen vom Weltall. Schon damals verfügten irdische Observatorien bereits über deutlich grössere Spiegel und konnten somit mehr Licht einfangen als Hubble mit seinem verhältnismässig kleinen Spiegeldurchmesser von 2,4 Metern. Theoretisch konnten grössere Teleskope auf der Erde damit eine höhere Bildqualität erreichen.

Aber eben nur theoretisch, denn Hubble konnte die störenden Einflüsse der Erdatmosphäre umgehen: Temperaturunterschiede in der unruhigen Luftmasse sorgen für Dichteunterschiede. Das führt dazu, dass Sterne am Nachthimmel scheinbar flackern – auch, wenn sie von einem Teleskop beobachtet werden. Hubbles Bilder ohne atmosphärische Störung stellten damit alles bisher Dagewesene in den Schatten. Es dauerte gut und gerne zwanzig Jahre des technologischen Fortschritts, bis die Bildqualität erdgebundener Teleskope zum alternden Weltraumteleskop aufschliessen konnte: Heute können adaptive Optiken in den Grossteleskopen den Störeffekt zu grossen Teilen ausgleichen.

Bild von weit entfernten Galaxien als bunte Punkte auf schwarzem Grund.Nasa,Esa

2004 nahm Hubble das «Ultra Deep Field» auf. Der Blick auf eine der dunkelsten Stellen des Himmels, an der kein Stern der Milchstrasse zu sehen ist, entlarvt das Universum als Wimmelbild unzähliger Galaxien.

Mit den Fortschritten der Observatorien auf der Erde wurden die Anforderungen an ein Weltraumteleskop deutlich spezifischer: Infrarotstrahlung wird von der Erdatmosphäre besonders stark beeinträchtigt und kann von der Erde darum besonders schlecht beobachtet werden – Webb soll genau diese Beobachtungslücke schliessen. Denn Infrarotstrahlung ist für die Wissenschaft besonders spannend: Aufgrund des Dopplereffekts ist alles Licht aus den entferntesten Galaxien infrarot. Webb soll also Objekte beobachten, welche mehr als 13,5 Milliarden Lichtjahre von uns entfernt sind. Das ist nicht nur ein Blick in enorme Ferne, sondern auch ein Blick auf die Entstehung der ersten Galaxien: Das Licht, das Webb aufnimmt, stammt aus der Frühzeit des 13,8 Milliarden Jahre alten Universums.

Der Dopplereffekt in der Astronomie

Wir alle kennen den Dopplereffekt aus unserem Alltag: Ein Auto, das sich auf uns zu bewegt, erzeugt einen höheren Ton, als eines, das sich von uns weg bewegt. Der Grund dafür ist: Die Schallwellen werden entsprechend der relativen Geschwindigkeit zum Beobachtungspunkt gestaucht respektive gestreckt. Gleiches gilt auch für die Wellenlänge des Lichts: Eine Lichtquelle, die sich schnell von uns entfernt, strahlt scheinbar längerwelliges Licht ab. Und je länger die Wellenlängen werden, desto röter wird das Licht.

Die Astronomie nennt dieses Phänomen Rotverschiebung: Je weiter ein Objekt von der Erde entfernt ist, desto mehr Strecke hat es seit dem Urknall relativ zu uns zurückgelegt – und desto mehr verschiebt sich ihr Licht in der Regel ins Rote. Die am weitesten entfernten Galaxien, die Astronomen bisher beobachten konnten, sind mehr als 13 Milliarden Lichtjahre von uns entfernt. Das Licht dieser Galaxien ist so weit ins Rote verschoben, dass sie nur noch im Infrarotbereich aufgenommen werden können.

Noch nie dagewesene Herausforderungen

Der Fokus auf Infrarotteleskopie hat den Anforderungskatalog an ein Weltraumteleskop im Vergleich zu Hubble deutlich vergrössert. Um auch die letzten störenden Einflüsse der Erde auszumerzen, wird das Teleskop daher viel weiter von der Erde entfernt stationiert: Webb folgt nicht wie Hubble einer Erdumlaufbahn, sondern wird zum sogenannten Lagrange-Punkt L2 gebracht, wo das Teleskop verbleibt: Rund 1,5 Millionen Kilometer auf der sonnenabgewandten Seite der Erdbahn gleichen sich die Anziehungs- und Fliehkräfte von Sonne und Erde so aus, dass ein Körper dort seine Position relativ zur Erde halten kann.

Alte und neue Aufgaben für Webb

Als sich die Nasa Ende der Neunzigerjahre fragte, was der primäre Auftrag des neuen Weltraumteleskops werden sollte, rückte man die Frage nach der Entstehung der ersten Galaxien ins Zentrum. Doch die Infrarotteleskopie eignet sich keinesfalls nur für diesen Zweck.

1995 fanden die Genfer Astronomen Michel Mayor und Didier Queloz den ersten Exoplaneten. Mit der Nobelpreis-prämierten Entdeckung eröffnete sich ein neues Forschungsfeld innerhalb der Astronomie: Die Suche nach einem erdähnlichen Planeten in einem anderen Sonnensystem, der die Voraussetzungen für die Entstehung von Leben erfüllt. Hierfür startete die Nasa 2009 das Weltraumteleskop Kepler, welches bis zum Missionsende 2018 über 2500 weitere Exoplaneten entdeckte. Damit erbte Webb eine weitere Aufgabe, die zur Zeit der Planung noch gar nicht absehbar war: Die genauere Erkundung der vielversprechendsten Exoplaneten. Mittels einem Infrarot-Spektrometer kann Webb die chemische Zusammensetzung dieser Exoplaneten analysieren und so möglicherweise die Grundbausteine des Lebens entdecken.

Nicht nur hinsichtlich der Position steigen die Anforderungen: Jeder warme Körper strahlt im Infrarotbereich und beeinträchtigt damit die Aufnahmequalität. Daher müssen die Instrumente von Webb so kalt wie möglich sein: Ein Sonnenschild von der Grösse eines Tennisplatzes sorgt dafür, dass der 6,5 Meter grosse Spiegel im kalten Schatten liegt. So sinken die Temperaturen auf etwa vierzig Grad über dem absoluten Nullpunkt. Für den mittel- bis langwelligen Infrarotbereich treten aber selbst dann noch Störungen auf: Darum wird der hierfür zuständige Sensor zusätzlich aktiv auf weniger als sieben Grad über dem absoluten Nullpunkt gekühlt.

Bangen bis zum ersten Licht

Technisch ist Webb also hochkomplex, was auch den Transport ins All wesentlich aufwändiger macht als bei seinem Vorgänger: Hubble passte noch problemlos in den Stauraum eines Spaceshuttles, doch für den Flug zum Lagrange-Punkt muss Webb auf die Spitze einer Rakete passen.

Der 25 Quadratmeter grosse Spiegel des James Webb Teleskop besteht aus 18 wabenartigen Spiegeln. Darunter stehen Forschende in weissen Anzügen Nasa/Desiree Stover

Der Spiegel des James-Webb-Weltraumteleskops besteht aus 18 Elementen und ist etwa 25 Quadratmeter gross.

Der heisseste Moment der Mission ist damit mit dem Raketenstart Mitte Dezember noch nicht überstanden. Im folgenden Monat durchläuft Webb etwa fünfzig Arbeitsschritte: Erst werden die Solarzellen ausgeklappt, dann die Antenne, dann die Sonnenschilde. Zuletzt werden die 18 Elemente des gewaltigen Spiegels mikrometergenau ausgerichtet.

Schlägt auch nur ein einziger Schritt fehl, kann das die ganze Mission dauerhaft beeinträchtigen. Dass das nicht einmal so unwahrscheinlich ist, zeigte sich zuletzt Mitte Oktober, als die Raumsonde Lucy auf den Weg zum Jupiter geschickt wurde. Kurz nach dem Start stellte sich heraus, dass sich eines der beiden Solarpaneele nicht richtig entfaltet hatte. Nun muss die Raumsonde auf ihrer gesamten mehrjährigen Mission mit weniger Energie auskommen als vorgesehen. Wie bei Lucy wäre auch bei Webb eine Reparatur unmöglich: Derzeit kann keine Raumfähre Menschen bis zum Lagrange-Punkt bringen. Ehe Webb die ersten Bilder zur Erde sendet, müssen die Beteiligten also noch ein paar Monate schwitzen.

Diesen Beitrag teilen
Unterstütze uns

regelmässige Spende