Das musst du wissen

  • Um Mückenpopulationen zu kontrollieren, setzen Forschende sterile Männchen aus. Dies ist aber aufwändig und teuer.
  • Eine Alternative bieten genetisch veränderte Individuen, wobei sich jedoch resistente Mutanten bilden könnten.
  • Besser wäre daher, nicht die Mücken, sondern die Krankheit zu bekämpfen – beispielsweise durch immune Mücken.
Den Text vorlesen lassen:

Was in unseren Breiten meist nur ein Störenfried ist, entpuppt sich anderswo auf der Welt als Gefahr für Leib und Leben. Zwar ist der Grossteil der rund 3500 bekannten Mückenarten völlig harmlos. Doch hundert problematische Arten reichen aus, um schätzungsweise siebenhundert Millionen Menschen jährlich mit Krankheiten wie Malaria, Gelbfieber und Dengue zu infizieren. So sind Stechmücken für mehr als eine Million Tote im Jahr verantwortlich. Und haben damit mehr Menschen auf dem Gewissen als alle anderen Tiere zusammen.

Darum versuchte die Menschheit schon früh, den Plagegeistern Herr zu werden: den Moskitos beispielsweise ab den 1940er-Jahren durch intensive chemische Bekämpfung mit dem Insektizid DDT. Dieses hat in der Schweiz wie auch im restlichen Europa entscheidend dazu beigetragen, die Anopheles-Mücke, die Überträgerin der Malaria auszurotten. Seit Mitte der 1970er gilt Europa als malariafrei. Auch von anderen Tropenkrankheiten sind die meisten Industrieländer kaum oder gar nicht betroffen. Das ist sicher einer der Gründe, weshalb die reichen Industrienationen der Erforschung und Bekämpfung von Tropenkrankheiten seitdem keine herausragende Bedeutung beigemessen haben.

Doch das hat sich geändert: Das Europäische Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten ECDC warnt schon seit vielen Jahren vor der wachsenden Gefahr von durch Stechmücken übertragenen Krankheiten auf unserem Kontinent. In ihrem Bericht von 2018 spricht die Behörde von lokalen Infektionszyklen oder gar Epidemien. Denn begünstigt durch den globalen Anstieg der Temperaturen dringen fremde Insektenarten nun auch bis nach Nordeuropa und Nordamerika vor.

Ein grossflächiger Einsatz umweltschädlicher Insektizide wird es dieses Mal aber nicht richten können. Viel zu gross wären die ökologischen Schäden einer solchen Chemiekeule – wie das Beispiel von DDT zeigt, dem massenhaft andere Insekten, Vögel, Fische und Amphibien zum Opfer fielen. Die Wissenschaft forscht daher an Möglichkeiten, den Tieren mittels Gentechnik beizukommen. Sie verfolgen dabei verschiedene Ansätze, die alle dem Ziel dienen, Mückenpopulationen zu kontrollieren – im Extremfall sogar auszurotten.

Sterile Männchen aus dem Labor

Eine bewährte Möglichkeit besteht darin, im Labor gezüchtete und etwa durch Bestrahlung unfruchtbar gemachte Männchen der Zielart in der Natur auszusetzen. Paaren sich diese mit wild lebenden Weibchen, entstehen daraus keine lebensfähigen Nachkommen. Wiederholt man dies über mehrere Generationen, kann die Population so deutlich geschrumpft werden. Ziel ist ein Level, das eine Eindämmung und Kontrolle mit konventionellen und ökologisch verträglichen Mitteln ermöglicht. Dazu zählen neben natürlichen Fressfeinden wie Fischen auch bestimmte Bakterien, Pilze oder Pflanzenarten, die für die Mückenlarven giftig, ansonsten aber umweltverträglich sind.

Das erste Problem nach erfolgreicher Zucht der Mutanten erscheint banal, ist es aber nicht: Wie trennt man eigentlich in grossem Massstab die männlichen von den weiblichen Moskitos? Denn aus guten Gründen werden nur Männchen aus dem Labor entlassen: Zum einen stechen sie im Gegensatz zu den Weibchen nicht, sondern ernähren sich bevorzugt von Nektar. Zum anderen vermeidet man so, dass sich sterile Männchen mit sterilen Weibchen paaren, was keinen Effekt auf die Wildpopulation hätte.

Schwarzweiss Foto von Marc Schetelig.Universität Giessen

Marc Schetelig, Professor für Insektenbiotechnologie an der Universität Giessen.

«Es ist kaum vorstellbar, aber Moskitos werden in der Regel noch händisch separiert», erklärt Marc Schetelig, Professor für Insektenbiotechnologie an der Universität Giessen. Das passiert schon im Larvenstadium und läuft meistens über die Grösse, weil die Weibchen etwa bei der Art Aedes aegypti, der Überträgerin von Gelbfieber, grösser sind. Man könne sich das wie eine Art Sieb vorstellen, in dem die Weibchen hängenbleiben und durch das die kleineren Männchen hindurchgehen. Doch das Verfahren ist nur bedingt akkurat: Da nicht jedes Weibchen gleich gross ist, erreicht man hiermit keine zu hundert Prozent saubere Trennung. «Das ist aber gerade bei Moskitos extrem wichtig, da wir ja keine zusätzlichen Weibchen und damit potenzielle Krankheitsüberträgerinnen freilassen wollen», sagt Schetelig. Man strebe daher eine Rate um 99,9 Prozent Männchen an. Die lässt sich aber nur erreichen, wenn nach dem Aussieben noch speziell geschulte Fachleute die letzten Weibchen von Hand aus dem Meer von Männchen herausfischen. Etwa zwei Millionen Männchen pro Woche können die Wissenschaftler so selektieren. Für flächendeckende Projekte zur Eindämmung müsse man allerdings in Grössenordnungen von Milliarden Tieren operieren, so der Biochemiker Schetelig. Das ist nicht nur sehr aufwändig, sondern auch teuer. Darum suchen Forschende schon seit langem nach günstigeren und effektiveren Alternativen.

Die natürliche Vererbung austricksen

Ein neuerer, seit 2003 entwickelter Ansatz ist wesentlich aggressiver und soll die Insekten mit einer genetischen Kettenreaktion bekämpfen. Das Verfahren nennt sich Gene Drive, übersetzt etwa «Genantrieb». Darunter versteht man Methoden zur Veränderung des Erbguts, durch die sich genetische Merkmale in Populationen beschleunigt ausbreiten. Sie umgehen dabei die Mendelschen Vererbungsregeln, nach denen ein bestimmtes Gen normalerweise nur an fünfzig Prozent der Nachkommen weitergegeben wird. Ein mithilfe der Genschere Crispr ins Erbgut eingebauter Mechanismus hingegen sorgt dafür, dass das gewünschte Merkmal mit einer bis zu hundertprozentigen Rate an die nächste Generation und auch an alle Folgegenerationen vererbt wird.

«Ein Super-GAU wäre, wenn wir ein System einsetzen, bei dem Resistenzen in der Wildpopulation entstehen, von denen wir nicht wissen, wie sie funktionieren.»Marc Schetelig

Will man Stechmücken mit dieser Methode bekämpfen, kann man beispielsweise ihr Erbgut durch gezielte transgene – also künstlich mit fremder DNA eingebaute – Mutationen so verändern, dass sie nur männliche Nachkommen zeugen. Setzt man nun genügend dieser im Labor gezüchteten Mutanten-Männchen in der Natur aus, würde die Population nach wenigen Generationen aus Mangel an Weibchen kollabieren. So weit die Theorie. In der Praxis stehen einem solchen Vorhaben aber grosse technische Hürden und ethische Fragen im Weg.

Problematische Mutanten verbreiten sich schnell

Ähnlich wie bei der chemischen Bekämpfung drohen auch hier Resistenzen. Denn wenn bei einer Freilassung von fruchtbaren gentechnisch veränderten Moskitos etwas schiefgeht, haben diese lange Zeit, sich genetisch dagegen zu wehren. Und: Insekten sind zäh. Nicht umsonst haben sie sämtliche planetare Katastrophen überdauert. «Ein Super-GAU wäre, wenn wir ein System einsetzen, bei dem Resistenzen in der Wildpopulation entstehen, von denen wir nicht wissen, wie sie funktionieren. Beispielsweise eine epigenetische Resistenz gegen das Crispr-System», erklärt Marc Schetelig. Das würde bedeuten, dass jedes Folgesystem, das auf denselben Komponenten basiert, auch nicht mehr funktioniert – die Möglichkeiten zur Bekämpfung könnten so verlorengehen. «Dann müssten wir ein ganzes Forschungsfeld neu erfinden oder die Enzyme umbauen. Wenn wir also vorher nicht genau erforschen, was passiert und passieren kann, schiessen wir uns damit selbst ins Bein», so der Biochemiker. Und fügt an: «Daher ist für mich die sterile Freilassung in puncto Sicherheit eine ganz andere Liga als die fertile Freilassung». Bei aller begründeter Vorsicht sollte man jedoch auch bedenken, welche Schäden unsere heutigen Werkzeuge zur Insektenbekämpfung verursachen. «Die bekannten Methoden mit Insektiziden setzen wir ja schon seit Jahrzehnten ein und zerstören damit ganze Ökosysteme – und uns selbst», beklagt Schetelig.

Ein Mittelweg könnte darin bestehen, den Gene Drive selbst mit einer Art Verfallsdatum auszustatten, um eine unkontrollierte Kettenreaktion zu vermeiden. Solch ein Verfallsdatum kann eingebaut werden, indem man zum Beispiel auf Komponenten abzielt, die erst in der Eltern- oder Enkelgeneration zu tragen kommen. «Es kommt also erst zu einer guten Verbreitung, die dann gezielt gestoppt wird», erklärt Schetelig. Dazu bräuchte es ein fundiertes Wissen, wie sich dieser limitierte Gene Drive in der Natur nach vielen Generationen verhält. Mit dem aktuellen Stand der Forschung sind allerdings weder der Einbau eines generellen Stoppmechanismus noch präzise Vorhersagen zur Entwicklung eines Gene Drive nach unzähligen Generationen möglich. Dies muss von Fall zu Fall getrennt bewertet und in Studien erforscht werden. Darüber hinaus lässt sich bis anhin schwer beurteilen, welche Rolle Mücken als Futtertiere in ihren Lebensräumen einnehmen. Doch einige Zahlen verdeutlichen die Dimensionen, um die es geht: Alle Spinnen weltweit erlegen zusammen etwa vierhundert Millionen Tonnen Beute im Jahr. «Das entspricht dem gesamten Fleisch- und Fischkonsum der Menschheit», erklärt Klaus Birkhofer, Professor für Ökologie an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg. «Ein Drittel ihrer gesamten Beutetiere sind Zweiflügler, zu denen auch Stechmücken gehören.» Schon allein wegen ihrer beträchtlichen Biomasse hätten Mücken also das Potenzial, empfindliche Ökosysteme zu beeinflussen.

«Die optimale Lösung ist nicht, den Moskito umzubringen, sondern auf das Virus abzuzielen.»Marc Schetelig

Zahlreiche Organisationen warnen daher eindringlich vor einem unbedachten Einsatz genetisch veränderter Mücken in der Natur. «Die Risiken der Technologie für Mensch und Umwelt sind heute noch weitgehend unerforscht. Angesichts ihrer Aggressivität und des enormen Wirkungsradius könnten die Folgen einer Freisetzung für die Biodiversität verheerend sein», mahnt beispielsweise die Hilfsorganisation Swissaid. Zudem fordert ein Bündnis von dreissig Organisationen den Bundesrat in einem Appell auf, sich wie das EU-Parlament bei der UNO-Biodiversitätskonferenz für ein globales Moratorium auf die Freisetzung von Gene-Drive-Organismen einzusetzen.

Nicht die Mücken, sondern die Krankheiten bekämpfen

Doch falls die Forschung in Zukunft Gene Drives im Zaum halten kann, würden sie den bekannten Methoden wohl schnell Konkurrenz machen. Die weltweite Ausrottung einer Mückenart auch mit einer so starken genetischen Waffe wie dem Gene Drive hält der Biochemiker Schetelig aber für nahezu unmöglich. Er selbst hat mit seinem Team ein Tödlichkeits-System an Fruchtfliegen getestet, bei dem eine genetische Veränderung ohne Gene Drive alle Nachkommen abtöten sollte. Dazu züchteten die Forscher 1,2 Millionen Fliegen der Gattung Drosophila im Labor und suchten nach Überlebenden. Sie wurden fündig: 103 Fliegen überlebten den eigentlich todsicheren genetischen Knockout, 23 von ihnen waren zudem fruchtbar und konnten sich fortpflanzen. Bei der extremen Vermehrungsrate von Insekten reichen so wenige Tiere, um die Population mit den immunen Mutanten wieder aufzubauen. «Wir haben herausgefunden, dass schon in der ersten Generation eine Mutation entstanden ist, die unser System abschaltet», sagt Schetelig.

Ohnehin hält der Forscher von der Ausrottung einer ganzen Spezies, sei sie noch so unbeliebt, aber nichts. Er bevorzugt einen anderen Ansatz: «Die optimale Lösung ist nicht, den Moskito umzubringen, sondern auf das Virus abzuzielen». Also immune Moskitos, die kein Dengue oder andere Krankheiten in sich tragen oder übertragen können. «Das ist der Gene Drive, den ich für am sinnvollsten halte. Damit hätten wir die Infektionskrankheit eingedämmt, ohne das Ökosystem zu schädigen.» Diese Art von Gene Drive könne sich im Gegensatz zum Knockout-Verfahren auch tatsächlich global ausbreiten, da die Tiere ja weiterleben.

Diesen Beitrag teilen
Unterstütze uns

regelmässige Spende