Sie beobachten, fotografieren und katalogisieren verkohlte Gegenstände. Auf dem Waffenplatz von Chamblon im Kanton Waadt sind junge Männer mit weissen oder roten Westen und Mitglieder des Zivilschutzes bei ihrer Arbeit.

Es ist eine Übung zur Rettung einer Kulturgütersammlung, die von der Hochschule für Konservierung und Restauration organisiert worden ist. Die 13 teilnehmenden Studentinnen und Studenten handeln, als ob sich der Schaden in einem Museum, einer Bibliothek oder einem Archiv ereignet hätte. Es geht zum Beispiel darum, eine Auswahl zu treffen zwischen unwiederbringlich verlorenen Objekten und solchen, die für eine Restaurierung aufbewahrt werden könnten.

Die Ukraine schützt ihre Schätze

Diese Art von Übung ist nichts Aussergewöhnliches und wird normalerweise alle zwei Jahre durchgeführt. An diesem Tag im März 2022 findet sie jedoch in einem besonderen Kontext statt: Alle haben den Krieg in der Ukraine vor Augen, der eine reale Gefahr für das Kulturerbe darstellt.

In der Ukraine haben die Behörden alles getan, um die Schätze des Kulturerbes zu schützen. Sammlungen wurden an einen sicheren Ort gebracht. Gebäude und Objekte, die nicht bewegt werden konnten, wurden mit den vorhandenen Mitteln wie Sandsäcken, Planen, Schaumstoff und feuerfesten Stoffen geschützt.

Trotz dieser Bemühungen haben die militärischen Operationen nach eineinhalb Monaten Krieg bereits zu Verlusten von unschätzbaren Kulturgütern geführt. Laut neuester Zählung der Weltkulturorganisation Unesco wurden bei den bisherigen Bombardierungen und Kämpfen mindestens 53 Kulturstätten beschädigt oder zerstört. Ein Beispiel hierfür sind 25 Gemälde der Künstlerin Maria Primachenko, die nach einem Bombenangriff im Museum für Geschichte und lokale Kunst in Iwankiw verbrannten.

Der Lviv Arts Palace beherbergt das grösste Kunstmuseum in der Ukraine. Zurzeit ist das Museum geschlossen und die Evakuierung wichtiger Kunstwerke ist in Planung.

Ein besonderer Schutz

Es ist wenig bekannt, aber wie die Zivilbevölkerung unterliegt auch Kulturerbe in bewaffneten Konflikten einem besonderen Schutz. «Angesichts der immer grösseren Kollateralschäden durch die moderne Kriegsführung begannen Länder bereits Ende des 19. Jahrhunderts zu verstehen, dass es notwendig ist, sich um das Kulturerbe zu kümmern und sich auf internationaler Ebene zu organisieren», sagt Nathalie Ducatel, Dozentin an der Hochschule.

Es waren jedoch die massiven Zerstörungen am Kulturerbe während des Zweiten Weltkriegs, die zu einem wirklichen Schutz führten, festgeschrieben im 1954 verabschiedeten Haager Übereinkommen für den Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten. Dieses ist das erste internationale Instrument mit universeller Ausrichtung, das ausschliesslich auf den Schutz des kulturellen Erbes ausgerichtet ist.

Das Haager Übereinkommen verbietet die Zerstörung oder Beschädigung von Kulturgütern. Es verlangt auch, dass Kriegsparteien jegliche feindselige Handlungen gegenüber diesen Gütern unterlassen. Darüber hinaus wird gefordert, dass Soldaten die Achtung vor den Kulturgütern aller Völker vermittelt wird.

Zwei Zusatzprotokolle stärken das Übereinkommen weiter. Das erste verhindert die Ausfuhr von Kulturgütern aus einem besetzten Gebiet. Das zweite fordert insbesondere, die vorsätzliche Zerstörung jeglichen Kulturguts unter Strafe zu stellen, und begründet einen Sonderfonds, um Staaten beim Schutz ihrer Kulturgüter zu unterstützen.

Schock in Jugoslawien

Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Haager Konvention eingehalten wird. Jüngere Konflikte haben gezeigt, dass dies nicht unbedingt immer der Fall ist. «Am Ende des Jugoslawienkonflikts haben die Kriegsparteien absichtlich Stätten, die als Kulturerbe gekennzeichnet waren, mit Raketen beschossen», sagt Nathalie Ducatel. «Man ging davon aus, dass diese Art von Praxis seit dem Zweiten Weltkrieg beendet sei. Was in Jugoslawien geschah, war also ein Schock.»

Seitdem wurden weltweit viele weitere Verbrechen gegen das Kulturerbe begangen. Dazu gehören die Sprengung der riesigen Buddhas von Bamiyan in Afghanistan, die Zerstörung der Stätte von Palmyra in Syrien und die Plünderung archäologischer Artefakte in irakischen Museen.

Nathalie Ducatel bedauert: «Wenn man das Kulturerbe angreift, geht es immer darum, das anzugreifen, was für ein Volk besonders wertvoll ist: seine Erinnerung und seine Identität.»

Nicht nutzlos

Es zeigt sich, dass eine internationale Konvention oftmals nicht reicht, ein Kulturerbe zu schützen, ebenso wenig wie die Zivilbevölkerung dies schafft. Auch die Idee, die Verantwortlichen für die Zerstörung vor Gericht zu bringen und Reparationen zu erwirken, scheint ein frommer Wunsch zu sein.

Dennoch ist ein internationaler Rechtsrahmen nicht unnütz. Nathalie Ducatel sagt es so: «Es ist klar, dass wir niemals alle Zerstörungen und den illegalen Handel verhindern werden. Aber die Tatsache, dass es eine solche Regelung gibt, verringert zum Beispiel das Inverkehrbringen von illegal beschafften Objekten in Ländern wie der Schweiz.»

Schweizer Hilfe für die Ukraine

Die Schweiz handelt zum Schutz des ukrainischen Kulturerbes. Das Bundesamt für Kultur (BAK) stellt eine Summe von 750 000 Franken zur Verfügung. Diese Summe unterstützt Museen und Institutionen in der Schweiz bei der vorübergehenden Aufbewahrung und Erhaltung von Kulturgütern, die aus der Ukraine geschickt wurden.

Das BAK unterstützt auch internationale Organisationen und Institutionen sowie private Akteure bei ihren Bemühungen, die Zerstörung oder den Diebstahl von Kulturgütern in der Ukraine zu verhindern.

Quelle: Pressemitteilung des BAK

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