Das musst du wissen

  • Seit dem neuen Fortpflanzungsmedizingesetz von 2017 können Eizellen bis zu zehn Jahre eingefroren werden.
  • Seither steigt die Nachfrage für Social Freezing in der Schweiz stetig an – in England herrscht zurzeit gar ein Boom.
  • Die Methode ist aber sehr kostenintensiv und die zwangsläufige künstliche Befruchtung nicht ganz risikofrei.
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Mit 33 Jahren zerbrach Martina Naefs* Traum von einer eigenen Familie – vorläufig. Der Grund war die Trennung von ihrem damaligen Freund. Doch Naef wollte sich den Traum von ihrer biologischen Uhr nicht verderben lassen. Die junge Frau liess deshalb ihre Eizellen auf unbestimmte Zeit einfrieren. Diese kann sie bis zu zehn Jahre später befruchten und wieder einsetzen lassen. «Ich wollte mir mit einer Eigen-Eizellspende Zeit kaufen, um die richtige Person für die Familiengründung zu finden», sagt die Zürcherin mit breitem Lächeln. Werden Eizellen aus sozialen Gründen eingefroren, nennt sich das Social Freezing – im Gegensatz zum Medical Freezing aus gesundheitlichen Gründen wie zum Beispiel vor einer Strahlen- oder Chemotherapie. Bei Naef waren soziale Gründe ausschlaggebend.

Die Nachfrage für Social Freezing steigt

Naef ist mit dieser Entscheidung nicht allein: Jährlich lassen in der Schweiz bis zu 400 Frauen ihre Eizellen einfrieren. In anderen Ländern ist die Nachfrage für Freezing-Behandlungen seit Beginn der Pandemie sogar regelrecht explodiert – so zum Beispiel in England: Die britische Zeitung «The Times» berichtete von einem Anstieg um bis zu fünfzig Prozent. In der Schweiz sind die exakten Zahlen des letzten Jahres unbekannt, denn das Einfrieren von Eizellen muss nicht dokumentiert werden. Und vorhandene Zahlen von 2020, sind noch nicht aufbereitet. Doch eines ist auch hierzulande eindeutig: Der Trend ist steigend. «In der Schweiz hat das Interesse in den letzten vier Jahren stark zugenommen», sagt Elisabeth Berger-Menz, Fachärztin für Gynäkologie an der Kinderwunschpraxis in Bern. Ein Grund für die Zunahme ist das neue Schweizer Fortpflanzungsmedizingesetz, das 2017 in Kraft trat. Seither dürfen die Eizellen bis zu zehn Jahre gelagert werden – davor waren es nur fünf Jahre. Das Ticken der biologischen Uhr kann also doppelt so lange angehalten werden.

Science-Check ✓

Studie: Social Freezing – Kinderwunsch auf EisKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsDie Datenlage der einzelnen Studien zu den gesundheitlichen Risiken einer künstlichen Befruchtung ist noch eher dünn. Einige ausgewählte Studien gelangen ausserdem zu widersprüchlichen Befunden. Die Ergebnisse müssen noch in grösser angelegten Studien erforscht werden.Mehr Infos zu dieser Studie...

Gründe fürs Social Freezing

Die Geburtenstatistik zeigt, dass viele Frauen heute später eine Familie gründen: Der Anteil an erstgebärenden Frauen über dreissig steigt seit Jahren an. Zwischen 1999 und 2012 hat sich der Anteil an Frauen, welche ihr erstes Kind zwischen 35 und 39 bekommen haben, verdoppelt: von zwölf auf fast 24 Prozent. Der Anteil der Frauen, die bei der ersten Geburt über vierzig sind, hat sich sogar verdreifacht: von zwei auf sechs Prozent.

In der Lebensphase über dreissig machen dann die meisten Frauen aus dem gleichen Grund wie Martina den Schritt zum Social Freezing: Nämlich dass der richtige Partner für eine Familiengründung fehlt. Das zeigen Studien aus Belgien, Australien, England und den USA. Und auch die Ärztin Berger-Menz bestätigt dies: «Meine Patientinnen kontaktieren mich meist dann, wenn sie aus einer langjährigen Beziehung kommen. Selten aufgrund einer Ausbildung oder der Karriere».

In welchem Alter ist Social Freezing sinnvoll?

Denn: Je älter die werdende Mutter ist, desto tiefer liegt die Chance für eine erfolgreiche Schwangerschaft und Geburt. «Mit zunehmendem Alter nimmt die Zahl der Eizellen ab und ausserdem wird auch deren Qualität schlechter – besonders ab 35», erklärt Berger-Menz. Das heisst, es treten vermehrt Störungen in den Chromosomen auf. Ausserdem nehme die Wahrscheinlichkeit ab, dass es zur Befruchtung und zu einer Lebendgeburt komme.

Das Einfrieren von Eizellen biete dafür eine Lösung, denn im Gefrierfach werden diese Zellprozesse gestoppt. Ist man körperlich gesund, sieht die Reproduktionsmedizinerin keinen Grund, sich vor 35 dem Eingriff zu unterziehen. «Zwischen 33 und 38 ist Social Freezing empfehlenswert.» Dann könne man sich mit 43 beziehungsweise 48 Jahren die Eizellen wieder einpflanzen, sagt Berger-Menz. Das Höchstalter, sich künstlich befruchten zu lassen, setzt sie in ihrer Praxis bei 48 – doch dies ist in der Schweiz gesetzlich nicht festgelegt. Anders ist dies in den meisten europäischen Ländern: Dort herrscht meist eine Altersgrenze für In-vitro-Befruchtungen. In Belgien zum Beispiel liegt die Grenze bei 48, in Tschechien bei 49 und in Italien bei fünfzig Jahren.

Doch kann auch in der Schweiz nicht beliebig spät eine In-vitro-Fertilisation durchgeführt werden, denn es gilt das Recht des Kindes: «Bei der Befruchtung im Reagenzglas muss darauf geachtet werden, dass die Mutter und der Vater das Kind bis zur Volljährigkeit begleiten können», sagt Berger-Menz. Für eine künstliche Befruchtung braucht es zudem einen Ehepartner – so will es das Schweizer Gesetz. Spenderspermien sind hierfür verboten. In anderen europäischen Ländern wie Spanien hingegen sind künstliche Befruchtungen mit gespendeten Samen erlaubt. «Für eine Fremd-Befruchtung darf man bei einem fehlenden Partner die Eizellen in der Schweiz beziehen und damit ins Ausland reisen», erklärt die Berner Reproduktionsmedizinerin. Der Transport sei aber aufwendig und dementsprechend kostenintensiv.

Wie funktioniert Social Freezing?

In der ersten Etappe der Einfrierung erfolgt eine Behandlung mit Hormonen. So werden die Eierstöcke stimuliert, das Wachstum von mehreren heranreifenden Eizellen gefördert und ein vorzeitiger Eisprung verhindert. Vor dem Eingriff wird dann hormonell ein Eisprung ausgelöst. Anstatt einer Eizelle, wie im regulären Zyklus, können dann gleich mehrere springen.

Die anschliessende Eizellentnahme unter Kurznarkose dauert circa zehn Minuten: Dabei werden möglichst viele der gesprungenen Eizellen mit einer Nadel über die Scheide abgesaugt. Bestenfalls können zwischen fünfzehn und dreissig gewonnen werden. Je nachdem wie viele Eizellen es sind, müssen mehrere Behandlungszyklen durchgeführt werden. Denn je mehr entnommen werden können, desto grösser die Chance auf eine spätere Schwangerschaft.

Als nächstes kommt der zweite Schritt: Die entnommenen Eizellen werden mit flüssigem Stickstoff bei minus 196 Grad eingefroren – auch Kryokonservierung genannt. Eine eher neue Methode hierfür, die Vitrifikation, wurde um die Jahrtausendwende entwickelt. Diese Technologie verbessert die Qualität der gefrorenen Eizellen enorm. Denn dabei werden die Eizellen schockgefroren und dies geschieht so rasch, dass sich keine zerstörerischen Eiskristalle bilden. Die Eizellen tragen somit weniger Schaden davon und unterscheiden sich kaum von frischen Eizellen. «Bis hierhin kostet die Prozedur zwischen viertausend und sechstausend Franken», sagt Berger-Menz.

Die dritte Phase besteht aus dem Auftauen beziehungsweise der künstlichen Befruchtung. Auf das Social Freezing folgt eine sogenannte Spermieninjektion: Ein einzelnes Spermium wird mittels einer Pipette in die Eizelle eingebracht.

Grundsätzlich entspricht der Drei-Phasen-Prozess einer klassischen in-vitro-Befruchtung, nur dass die Prozedur mit einer Gefrierphase unterbrochen ist. Ursprünglich wurde diese Methode für Krebspatientinnen entwickelt, um eine Mutterschaft nach einer Chemo- oder Strahlentherapie zu ermöglichen. Seit gut zehn Jahren wird die Methode nun auch aus sozialen Gründen in grossem Stil angewendet. Und dabei gehen die Gründe über die Unfruchtbarkeit hinaus: In den USA gehen Grosskonzerne sogar soweit, dass sie Arbeitnehmerinnen dafür bezahlen, ihre Fruchtbarkeit auf Eis zu legen. In der Schweiz hingegen zahlen die Frauen fürs Social Freezing aus eigener Tasche. Fürs Medical Freezing, wenn Frauen aus medizinischen Gründen ihre Eizellen einfrieren lassen, übernehmen seit zwei Jahren offiziell Schweizer Krankenkassen die Kosten.

Risiken von Social Freezing

Die Gynäkologin Elisabeth Berger-Menz beschreibt die Risiken während der Eizellentnahme als gering. Doch wie bei jeder Operation, besteht eine gewisse Infektionsgefahr. «Diese ist im Vergleich zu anderen Operationen nicht erhöht, obwohl wir von der Scheide her in den Bauchraum gelangen», sagt die Gynäkologin. Bakterien könnten so ihren Weg ins Körperinnere finden. Ausserdem könnte sich der Eierstock verdrehen, Blutungen oder Probleme bei der Anästhesie auftreten. Die Wahrscheinlichkeit hierfür liegt bei unter einem Prozent.

Es ist wenig bekannt, welche Folgen die Kryokonservierung von Eizellen auf die daraus entstehenden Kinder hat. In bisherigen Studien ist die Fehlbildungsrate bei Babys aus eingefrorenen Eizellen nicht erhöht, im Vergleich zu solchen, die auf natürlichem Weg gezeugt wurden. Allerdings ist die Datenlage noch dünn – und die langfristigen gesundheitlichen Folgen von Social Freezing müssen noch genauer unter die Lupe genommen werden.

Doch wie risikoreich ist eine künstliche Befruchtung – also die indirekten Risiken des Social Freezing? Da bei einer In-vitro-Befruchtung mehrere befruchtete Eizellen in die Gebärmutter eingesetzt werden, besteht die Chance für eine Mehrlingsschwangerschaft. Damit gehen Komplikationen bei der Schwangerschaft und der Geburt einher. Jedoch hat die Anzahl an Mehrlingsgeburten nach einer künstlichen Befruchtung in der Schweiz stark abgenommen: Im Jahre 2019 lag sie bei sechs Prozent, 2017 waren es noch fast 16 Prozent.

Doch auch bei Schwangerschaften mit einem Kind zeigen sich Unterschiede zwischen natürlicher und künstlicher Zeugung: Nach einer In-vitro-Befruchtung erhöht sich das Risiko einer Schwangerschaftsvergiftung, eines niedrigen Geburtsgewichts oder einer Frühgeburt. Ausserdem haben Neugeborene, welche in der Petrischale gezeugt wurden, im Vergleich zu natürlich gezeugten ein erhöhtes Risiko für Fehlbildungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Auch das Alter der Mutter spielt beim Social Freezing als Risikofaktor mit: Denn die Frauen lassen ihre Eizellen aus dem Tiefkühler meist erst im fortgeschrittenen Alter befruchten und einsetzen. «Ab 35 steigen die Risiken von Komplikationen während der Schwangerschaft und der Geburt exponentiell an», sagt Berger-Menz. Das heisst es ist wahrscheinlicher, dass zum Beispiel Bluthochdruck und Schwangerschaftsdiabetes auftreten oder ein Kaiserschnitt durchgeführt werden muss.

Schafft Social Freezing gesellschaftliche Vorteile?

Bei den gesellschaftlichen Vorteilen des Social Freezing scheiden sich die Geister: Zum einen wird das Einfrieren als Antibabypille 2.0 bezeichnet. Denn damit können Frauen selbst entscheiden, wann sie Kinder haben möchten. Das bedeutet mehr Wahlfreit und Emanzipation. Doch kritische Stimmen thematisieren genau da eine Problemverlagerung: Dass gesellschaftliche Massnahmen zur Vereinbarung von Familie und Beruf somit nur untergraben werden.

*Name der Person geändert
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