Ursprünglich war sie nur einigen wenigen vorbehalten. Doch inzwischen ist die Geheimlehre der Esoterik zu einer milliardenschweren Industrie angewachsen, die für jedes Leiden und Bedürfnis eine Lösung zu haben scheint. Ob man nun mit Verstorbenen oder Engeln sprechen, sich vor schädlichem Elektrosmog schützen oder dem Haustier zu mehr Energie verhelfen möchte – es gibt nichts, was mit Esoterik nicht möglich wäre. Und wenn man von den derweil zahlreichen Praktikern wissen will, wie und warum die Therapie genau funktioniert, dann wird oft die Physik bemüht, um die esoterischen Konzepte zu rechtfertigen.

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Es fallen Begriffe wie Quantenmedizin, Bioresonanz oder Magnetfeldtherapie, die stark an die Terminologie der Physik erinnern – und das scheint tatsächlich mit Absicht so zu sein. Darüber berichtet in seinem Blog zum Beispiel Professor Erhard Wielandt, der in Tübingen und Berlin Physik studiert hatte und unter anderem am geophysikalischen Institut der Uni Karlsruhe tätig war. Zuletzt, bis zu seiner Emeritierung, war er Professor und Direktor am Institut für Geophysik in Stuttgart. Wielandt schreibt, dass ihm einst ein Rutengänger gesagt habe, dass einem Esoteriker heutzutage nichts anderes übrig bliebe, als sich wissenschaftlich auszudrücken, um überhaupt ernst genommen zu werden. Daraus schliesst der Physiker, dass sich die Esoteriker – zumindest im Fall dieses Rutengängers – zwar darüber im Klaren sind, dass die wissenschaftlichen Ausdrücke nicht überall angemessen sind, die Esoteriker diese aber dennoch benutzen, um zu erreichen, dass man ihnen vertraut – vermeintlich nur, um das Beste für den Klienten zu erreichen.

Alternative Wissenschaften

Dieses Phänomen hat einen Namen. Man spricht von Parawissenschaften oder auch von Pseudowissenschaften. Diese haben sich parallel zu den heute etablierten Wissenschaften entwickelt, aber deren Theorien und Praxis beruhen gemäss der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften e. V. (GWUP) weitgehend auf illusionärem Denken. Dennoch wird zwanghaft versucht, die Praktiken der Parawissenschaften und Pseudowissenschaften wissenschaftlich zu unterfüttern – und das ausgerechnet mit der Physik. «Es ist paradox», schreibt Physiker und GWUP-Mitglied Florian Aigner im österreichischen Nachrichtenmagazin Profil. «Esoteriker, deren Geschäftsmodell darauf fusst, die Erkenntnisse der Naturwissenschaft zu ignorieren, berufen sich auf eine naturwissenschaftliche Theorie. Es ist, als würden Atheisten in der Bibel nach Bestätigung ihrer weltanschaulichen Thesen suchen. Oder als würde just ein Vegetarierverein mit Gratisschnitzelsemmeln Mitglieder anwerben wollen.» Besonders von der Quantenphysik sind die Esoteriker angetan, weil sich mit ihr, ihrer Meinung nach, viele esoterische Phänomene erklären liessen. Der aus Österreich stammende Wissenschaftler und Autor Fritjof Capra spannte mit Werken wie «Das Tao der Physik» (1975) oder «Wendezeit» (1983) schliesslich den Bogen zwischen abendländischer Ratio und fernöstlicher Philosophie. Er wurde zum Vorreiter der sogenannten New-Age-Bewegung, in der die Verknüpfung von Quantenphysik und Mystik populär wurde.

Alles wird vermischt

Die New-Age-Bewegung kam in den 1970er- und 1980er-Jahren auf. Das Besondere daran war, dass sie alle möglichen Arten der Esoterik, wie Magie, Alchemie, Astrologie und Kartenlegen mit etablierten Wissenschaften zu vermengen begann, sprich mit der Psychologie, der Religionswissenschaft, der Evolution, den Kausalitätsgesetzen und, wie bereits erwähnt, mit der Physik, insbesondere mit der Quantenphysik. Zugleich nahm auch die sogenannte Alternativmedizin einen Aufschwung, zu der die Homöopathie, die traditionelle chinesische Medizin und die Naturheilkunde zählen, die wiederum mit der klassischen Schulmedizin in Verbindung gebracht wurde.

Das Interessante dabei ist, dass diese Bewegung bis zum heutigen Tag nicht nur von wissenschaftlichen Laien getragen wird, sondern auch von Akademikern. So ist Fritjof Capra, der die Bewegung mit seinen Büchern befeuert hat, ein Physiker. Der Physiker Erhard Wielandt erklärt in seinem Blog, dass sich Akademiker, die Parawissenschaften unterstützen, üblicherweise organisieren würden, und zwar in Vereinen, die einen wissenschaftlich klingenden Namen haben. Sie würden ihre eigenen Tagungen abhalten und ihre eigenen Zeitschriften herausbringen, die in der eigenen Fachsprache verfasst worden seien. Es sei, erklärt der 80-Jährige – wobei er an dieser Stelle den US-amerikanischen Physiker Richard Feynman zitiert, der sich ebenfalls mit Parawissenschaft beschäftigt hat –, alles genau wie in der etablierten Wissenschaft. Der einzige Unterschied liege darin, dass kein Ergebnis je von Aussenstehenden reproduziert werden kann.

Es widerspricht den Gesetzen

Trotz des Deckmäntelchens der Wissenschaft ist es der Esoterik bis zum heutigen Tag nicht gelungen, ihre esoterischen Anschauungen und Praktiken naturwissenschaftlich oder medizinisch zu belegen. Der Grund ist ganz einfach, wie der Arzt, Wissenschaftler und Wissenschaftsautor Thomas Grüter in einem Artikel festhält: «Die meisten behaupteten Effekte widersprechen den Gesetzen der Naturwissenschaft. Sie sind nicht etwa unerklärlich, sie sind unmöglich. Naturgesetze kann man weder brechen noch umgehen.» Das Einzige, was man deshalb bisher nachweisen konnte, ist ein gewisser Placeboeffekt bei der Homöopathie. Aber alles, was darüber hinausgeht, ist letztlich eine Frage des Glaubens.

Es ist jedem selbst überlassen, ob man daran glauben mag und von der Esoterik Gebrauch machen will oder nicht. Was der GWUP jedoch sauer aufstösst, ist, dass die Esoteriker ausgerechnet mit der Physik die Tauglichkeit ihrer Praktiken unter Beweis stellen wollen. Allerdings sei es nur logisch, dass die Esoteriker diese Wahl getroffen haben – und zwar aus zwei Gründen: Einerseits geniesse die Physik aufgrund ihrer Geschichte eine hohe Glaubwürdigkeit und ein grosses Vertrauen. Andererseits sei sie für die meisten Menschen schwer verständlich. «Daher mag ein Nichtphysiker geneigt sein, eine Behauptung der Esoteriker nicht nur zu glauben, sondern sogar als wissenschaftlich gesichert anzusehen, wenn sie mit dem Zusatz ‹und die moderne Physik sagt das auch› vorgetragen wird», schreibt die Organisation auf ihrer Website.

Dieser Beitrag erschien erstmals im doppelpunkt.
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