Mädchen lesen gut, Jungs eher weniger. Das ist nicht nur ein Klischee: In Lesetests der Pisa-Studie schneiden Mädchen stets besser ab. Nun aber haben französische Psychologen herausgefunden, dass sich das ändert, wenn die Bewertung der Lesefähigkeiten als Spiel getarnt wird.
In einer Studie gaben die Forschenden neunjährigen Schülerinnen und Schülern die Aufgabe, auf einer Wörterliste innert drei Minuten möglichst viele Tiernamen zu finden. Der Hälfte der 80 Kinder teilten sie mit, dass es sich dabei um eine Prüfung handle, den anderen, es sei ein Spiel. Resultat: In der Prüfung schnitten die Jungs mit durchschnittlich 33 gefundenen Tiernamen deutlich schlechter ab als die Mädchen, die 43 entdeckten. Ganz anders aber bei den Kindern, die glaubten, es sei ein Spiel: Hier fanden die Jungs im Durchschnitt 45 Tiernamen, die Mädchen nur 38.
Hinter diesen Unterschieden vermuten die Forschenden einen geschlechterstereotypen Einfluss der Gesellschaft. Das glaubt auch Rainer Greifeneder, Sozialpsychologe an der Uni Basel. «Wenn wir Kindern von klein auf beibringen, dass Lesen Frauensache ist und Naturwissenschaften Männersache sind, dann denken sie automatisch, dass sie in den jeweils anderen Bereichen schlechter seien», sagt er. «Deshalb sind Jungs in der Prüfungssituation stärker unter Druck.»
Braucht es also unterschiedliche Tests für Jungs und Mädchen? «Das halte ich für einen falschen Ansatz», sagt Greifeneder, «wenn Kinder aufgrund des Geschlechts anders behandelt werden, könnte dies das Stereotypen-Denken sogar fördern.» Besser sei es, dieses Denken ganz zu beseitigen, und zwar, indem Eltern diese in der Erziehung aktiv infrage stellen. «Wenn es keine Stereotypen gibt, können sich Kinder davon auch nicht bedroht fühlen.»