Das musst du wissen

  • Disziplin gilt vielen als Königsweg, um Lebensziele zu erreichen und so glücklich zu werden.
  • Aber auch der als Hedonismus verpönte Genuss führt zum Glücklichsein – und ist der Lebenszufriedenheit zuträglich.
  • Geniessen fällt aber vielen Menschen schwer, da Gedanken an anstehende Aufgaben die Genuss-Momente stören.
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Die Wellen rauschen, die Sonne scheint und endlich kannst du die Füsse hochlegen. Gerade als du anfängst dich zu entspannen, passiert es aber: Ein Gedanke taucht auf. Was wenn dieser eine Kunde, der Schwierige, eine Mail geschrieben hat? Mit einer Frage, die deine Stellvertretung nicht beantworten kann? Der entspannte Nachmittag ist gelaufen. Das Nagen hört nicht auf.

So geht es nicht nur dir. Neue Forschung hat ergeben, dass viele Leute Probleme haben, die Freizeit so richtig auszukosten. «Für viele Leute ist es gar nicht so einfach, einen schönen Moment uneingeschränkt zu geniessen», sagt Katharina Bernecker, Motivations-Forscherin am Psychologischen Institut Zürich. Sie und ihre Kollegin Daniela Becker von der Radboud Universität in den Niederlanden haben fünf Studien durchgeführt, um herauszufinden, wie sich die Fähigkeit zu geniessen von Mensch zu Mensch unterscheidet – und wie sie mit Gesundheit und Glück zusammenhängt. Das Resultat ist in der Fachzeitschrift Personality and Social Psychology Bulletin erschienen.

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Genuss hat sowohl in der Gesellschaft wie in der Wissenschaft tendenziell einen schlechten Ruf. «Normalerweise wird Selbstkontrolle als Weg zum Glück angesehen und Genuss als etwas, was nicht dienlich ist, weil es den langfristigen Zielen im Weg steht», sagt Bernecker. Mit Glück ist hier eine generelle Lebenszufriedenheit gemeint. Und diese hängt mit der Erreichung von langfristigen Zielen zusammen – also mit Selbstkontrolle und Disziplin. «Genuss findet wenig Platz in unserer leistungsorientierten Gesellschaft», sagt Bernecker. Die Wissenschaft spiegle hier die Gesellschaft wider: «Es gibt viel Forschung zu Selbstkontrolle und kaum welche zu Genuss.»

Qualität statt Quantität

Um die Rolle von Genuss nun zu analysieren, führten die Forscherinnen fünf verschiedene Studien durch. Zum Zug kamen Online-Fragebögen, bei denen die Probanden Selbsteinschätzungen bezüglich Genussfähigkeit aber auch bezüglich gesundheitlicher Beschwerden wie Kopf- oder Rückenweh abgaben. Diese gelten auch als Symptome für psychische Leiden. Ausserdem führten die Forscherinnen im Labor ein Experiment mit Probanden durch: Während acht Minuten sollten sich diese entspannen, zum Beispiel beim Mandala malen, und darauf achten, wie oft störende Gedanken auftauchten. Drittens gingen die Forschenden ins Feld und fragten Personen, die zum Beispiel in einem Park ihre Freizeit genossen, nach ihrem Befinden und ihrer Entspanntheit.

Science-Check ✓

Studie: Beyond Self-Control: Mechanisms of Hedonic Goal Pursuit and Its Relevance for Well-BeingKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsDie Studien zeichnen sich durch eine grosse Anzahl Probanden aus – zudem ergänzen sich die Studien gegenseitig und replizieren gewisse Ergebnisse. Das macht die Resultate robust. Neben Studenten aus Deutschland und der Schweiz wurden auch Stichproben aus der Bevölkerung gezogen – repräsentativ für die Bevölkerung sind die Stichproben aber dennoch nicht. Auch ist es ein Grundproblem bei psychologischen Studien, dass sie auf die Aussagen der Probanden vertrauen müssen. Hier wurden diese Aussagen aber auf verschiedene Arten erhoben und zudem auch mit Fremdbeurteilung verglichen – also von Freunden der Probanden. Die verschiedenen Studien wurden abgeglichen und konnten so verlässliche Aussagen machen.Mehr Infos zu dieser Studie...

Was dabei herauskam: Die Fähigkeit zum Genuss ist ebenso wichtig für die Lebenszufriedenheit wie die Selbstkontrolle. Gedanken an Aufgaben, die häufig mit unseren langfristigen Zielen in Verbindung stehen, hingegen sind dem Genuss abträglich. Was am Ende zählt ist die Balance: «Es geht nicht darum, nur noch zu faulenzen», präzisiert Bernecker. «Es geht um Qualität und nicht um Quantität.» Denn es war die Fähigkeit von Personen, schöne Momente auch wirklich zu geniessen und nicht die Häufigkeit dieser Momente, die mit höherer Lebenszufriedenheit einherging. Zudem weisen Menschen, die so richtig geniessen können, weniger Symptome auf, die mit Stress, Depressionen und Angstzuständen zusammenhängen.

Umso bedenklicher ist, dass viele der Probanden beträchtliche Mühe hatten, die Seele baumeln zu lassen. Was bei den Studien auffiel: Frauen waren im Geniessen signifikant schlechter als Männer. Katharina Bernecker sieht dieses Resultat aber noch mit Vorsicht: «Vielleicht haben die Frauen die Fragen in irgendeiner Weise generell anders verstanden als Männer.» Den Geschlechterunterschied müsse man noch genauer anschauen.

Fixer Zeitpunkt um die Mails zu checken

Wie gut jemand darin ist, zu geniessen, hängt nicht davon ab, wie gut die Person in Selbstkontrolle ist. «Die störenden Gedanken kommen spontan auf und lassen sich nicht so einfach unterdrücken», sagt Bernecker.

Damit die störenden Gedanken die Ferien nicht verderben, rät die Forscherin, die Türen nicht noch zu öffnen für die langfristigen Ziele, wie zum Beispiel einer beruflichen Karriere. Arbeitszeit und Freizeit sollte streng getrennt sein. Statt also alle fünf Minuten die Emails zu checken, sollte man lieber einen fixen Zeitpunkt am Tag dafür reservieren – wenn man denn die Mail überhaupt überprüfen muss. Abwesenheitsmeldung und Vertretungen können dies hinfällig machen. Und wer möglichst viele Aufgaben vor den Ferien abschliesst, sitzt danach umso entspannter im Liegestuhl. «Man muss sich auch bewusst machen, dass die Ferienzeit nur einen kleinen Teil der Lebenszeit einnimmt – für die Arbeit bleibt noch genug.»

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