Das musst du wissen

  • Menschen wünschen sich konstruktives Feedback. Dennoch erteilen wir dieses nur spärlich.
  • Dies vor allem, um niemanden zu verletzen – dachten Forschende bislang. Hinzu kommt aber noch ein weiterer Grund.
  • Und zwar unterschätzen wir, wie sehr ein ernst gemeinter Ratschlag andere weiterbringen könnte.

Stell dir vor, du hast nach dem Mittagessen etwas zwischen den Zähnen – und keiner sagt es dir. Oder du hältst am Arbeitsplatz eine Präsentation vor einer wichtigen Kundin und sprichst einen Fachbegriff konstant falsch aus. Unangenehm, oder? Und obschon du dir wohl wünschst, die anderen würden dich darauf aufmerksam machen, tun sie es nur in wenigen Fällen. Unter anderem, weil sie unterschätzen, wie sehr ihr Gegenüber ein hilfreiches, konstruktives Feedback gutheissen würde. Dies haben Forschende aus den USA kürzlich herausgefunden und im Fachmagazin Journal of Personality and Social Psychology publiziert.

Science-Check ✓

Studie: «Just Letting You Know…»: Underestimating Others’ Desire for Constructive FeedbackKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsDie Untersuchungen wurden mit einer relativ grossen Anzahl Teilnehmenden durchgeführt, was sie aussagekräftig macht. Personen, die in der Pilotstudie die bewusst aufgesetzten Makel – zum Beispiel: verschmierter Lippenstift – nicht wahrnahmen, wurden später von der Studie ausgeschlossen, um Fehlinterpretationen zu vermeiden. In den Experimenten nicht untersucht wurde, wie sich Unterschiede bezüglich Hierarchie der beteiligten Personen – zum Beispiel in der Situation Chef versus Angestellter – auf die Bereitschaft, Feedback zu erteilen, auswirkt.
Zuverlässigkeit: Peer-reviewed. Insgesamt 1984 Teilnehmende, davon 155 an der Pilotstudie sowie jeweils mehrere hundert Personen an den fünf zusätzlichen Experimenten.
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Wir wollen niemanden verletzen

Zu dieser neuen Erkenntnis geführt hat die Forschenden eine Pilotstudie sowie eine Reihe von fünf Experimenten. Für Erstere waren sie bei einer Umfrage auf dem Universitätsgelände zu einem beliebigen Thema gezielt mit einem sichtbaren Makel unterwegs: grossflächig verschmiertem Lippenstift, einem Schokoladenfleck auf der Wange oder Spuren von Leuchtstift auf der Nase. Erschreckendes Resultat: Von den rund 150 angetroffenen Personen, die im Nachhinein angaben, das Missgeschick bemerkt zu haben, wiesen nur vier – also nicht einmal drei Prozent – die Fragestellenden darauf hin. Warum all die anderen Personen dies unterlassen hatten, erklärten sie den Studienverantwortlichen im Anschluss an das Experiment wie folgt: Sie wollten etwa die Forscherin mit dem verschmierten Lippenstift nicht beleidigen oder in Verlegenheit bringen, nicht unhöflich sein oder befanden, es sei nicht ihre Aufgabe, andere auf solche Missgeschicke hinzuweisen.

Damit bestätigt die Untersuchung zum einen, was aus früherer Verhaltensforschung schon bekannt war. Hinzu kommt aber noch ein weiterer wichtiger Grund: Menschen halten sich mit Feedback auch zurück, weil sie nicht das Potenzial erkennen, damit anderen Personen zu helfen respektive mit ihren Tipps deren Fähigkeiten zu verbessern. Dies zeigte sich vor allem in den fünf Experimenten, bei denen es nicht nur um oberflächliche Makel wie dem Lippenstiftfleck ging. Zum Beispiel mussten die Teilnehmenden eine Rede vor Publikum halten, auf die sie konkretes Feedback erhielten. Oder sie wurden mit hypothetischen Situationen am Arbeitsplatz konfrontiert, in denen sie Kritik äussern oder entgegennehmen konnten. Resultat: Sei es, dass jemand zu schnell spricht, hektisch in den Unterlagen blättert oder Tippfehler auf seinen Folien hat – offenbar unterschätzen wir den Wert eines solchen Feedbacks für unsere Mitmenschen und somit auch ihren Wunsch danach. Je folgenreicher eine Rückmeldung dabei ist – also zum Beispiel jemandem zu sagen, dass er seine Auftrittskompetenz verbessern muss – desto eher unterschätzen wir das Bedürfnis der anderen nach konstruktivem Feedback. Und desto eher lassen wir es letztlich bleiben.

Eine Chance, sich zu verbessern

Dabei ist eine gute Feedback-Kultur etwas sehr Wertvolles, wie die Verhaltensforscherin und Studien-Mitautorin Francesca Gino festhält: «Feedback ist der Schlüssel zu persönlichem Wachstum und Verbesserung. Es kann Probleme beheben, die das Gegenüber sonst teuer zu stehen kommen.» Entsprechend lautet ihr Appell: «Wenn du das nächste Mal hörst, dass jemand ein Wort falsch ausspricht oder einen Fleck auf seinem Hemd bemerkst: Weise ihn oder sie doch darauf hin. Die Person will wahrscheinlich mehr Feedback, als du denkst.» Daran möchten wir von higgs uns anschliessen: Solltest du in diesem Artikel einen Tipp- oder anderweitigen Fehler entdecken, teile uns dies doch gerne mit. Auch wir sind offen und dankbar für konstruktive Kritik.

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