Das musst du wissen

  • Gerade Jüngere verfügen oftmals über geringe Medien- und Nachrichtenkompetenzen.
  • Zu wissen, wie Medien funktionieren, ist aber wichtig, um den Wert von verlässlichen Informationen einzuschätzen.
  • Viel wichtiger als Reden ist aber Zuhören, um auf Ängste eingehen zu können und gemeinsam Lösungen zu finden.

Frau Humprecht, der Epidemiologe Marcel Salathé hat gesagt, in der Pandemie sei vieles kommunikativ nicht gut gelaufen. Teilen Sie als Kommunikationswissenschaftlerin diese Einschätzung?
Humprecht: Ja. Das hängt damit zusammen, dass eine grosse Unsicherheit und Unwissenheit geherrscht haben, und dass es auch widersprüchliche Infos gab, die auf dem jeweils aktuellen Wissensstand beruht haben. Es wurde also nicht absichtlich falsch informiert, aber im Nachhinein haben sich manche Informationen als falsch herausgestellt. Das im Nachhinein zu erklären ist schwierig. Aber das war nicht mal das grösste Problem: Man sieht auch im internationalen Vergleich, dass es zu Misstrauen oder Verständnisschwierigkeiten zwischen Bevölkerung und der sogenannten Elite kommt, also Regierungen und auch Wissenschaft. Am schlimmsten ist es, wenn die Regierung solches Misstrauen schürt. Das hat man in der USA prominent gesehen, aber auch teilweise in der Schweiz. Es hilft nichts, wenn Politiker Entscheidungen in Frage stellen und so Randmeinungen unterstützen.

Edda Humprecht

Edda Humprecht arbeitet am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich. Sie forscht zu politischer Kommunikation, digitaler Kommunikation und Hassreden in Online-Medien.

Zum Beispiel, wenn ein Regierungsmitglied das T-Shirt einer Widerstandsgruppe trägt?
Humprecht: Politikerinnen und Politiker haben eine sehr grosse Verantwortung. Gleichzeitig wollen sie auch Aufmerksamkeit erreichen, um wieder gewählt zu werden, oder um sich neue Wählerklientel zu erschliessen. So haben sie manchmal verschiedene Interessen.

Wie erreicht man Bevölkerungsgruppen, die schwierig zu erreichen sind?
Humprecht: Da sind verschiede Akteure beteiligt. In der Wissenschaft haben wir einige gute Beispiele von Wissenschaftskommunikation gesehen. Viele Kolleginnen und Kollegen haben sich aktiv eingebracht, aber es fehlt zum Teil an rhetorischem Training für Forschende. Und einige haben auch ein Art Schutzmechanismus, denn wenn man sich in den Medien an der Diskussion beteiligt, kommt es nicht selten zu Shitstorms. Für diesen Fall gibt es bei den Hochschulen eigentlich keine Strategien, wie sie da die Forschenden unterstützen können.

Die Hochschulen haben doch alle grosse Kommunikationsabteilungen…
Humprecht: Stimmt, aber die sind auf diese Form von Kommunikation nicht vorbereitet. Und es gibt ja nicht nur die Pandemie, sondern auch andere Themen, die stark polarisieren.

Sie haben von verschiedenen Akteuren gesprochen, die kommunizieren müssen.
Humprecht: Die Medien. Aber da gibt es das Problem der falschen Ausgewogenheit, die wir beobachten. Dass also die Meinungen von Minderheiten überproportional berücksichtigt werden. Andererseits sollen die Median ja auch Zweifel aufnehmen oder einfach kommunizieren, was der Wissensstand ist. Das passiert zum Teil nicht, weil vielen Redaktionen aufgrund von Sparmassnahmen das Know-how dazu fehlt.

Aber selbst, wenn die Medien noch besser wären – einen grossen Teil der Bevölkerung erreichen sie nicht, das zeigen Untersuchungen: Je nach Altersgruppe konsumieren bis zu zwei Drittel keine traditionellen Medien. Insbesondere Junge orientieren sich auf Tiktok oder Telegram. Wie erreichen wir denn diese?
Humprecht: Ich sehe das nicht so dramatisch. Auch diese Leute kommen mit verschiedenen Meinungen in Kontakt. Allerdings sehen wir in unserer Forschung, dass gerade Jüngere eine News-find-me-Einstellung haben. Sie vertrauen also darauf, dass sie wichtige Nachrichten schon mitbekommen, zum Beispiel weil sie diese in sozialen Medien sehen oder ihnen jemand davon erzählt.

Wir wissen aber aus der Forschung auch, dass die Nachrichtenkompetenz bei vielen Jüngeren eher gering ist. Die wissen häufig nicht, wie Journalismus funktioniert oder welche Quellen qualitativ hochwertige Informationen produzieren. Da muss man ansetzen, um auch diesen Personen eine Anlaufstelle zu geben. Wir können den Jungen nicht einfach sagen, geht auf dieses oder jenes Webportal und informiert euch da regelmässig. Man muss ihnen auch erklären, warum das denn von Vorteil ist.

«Sicher sollten die Wissenschaft und die Akademien in den sozialen Medien mehr machen. Aber dazu braucht es wieder Fähigkeiten.»Edda Humprecht

Viele kritische Argumente werden auf den sozialen Medien verbreitet. Haben es die traditionellen News-Verbreiter oder auch die Hochschulen verpasst, auf diese Kanäle aufzuspringen? Man weiss zum Beispiel aus einer Recherche der NZZ, dass eine der aktivsten Anti-Corona-Stimmen der Schweiz auf Telegram kein Mensch, sondern ein Bot ist. Sollte zum Beispiel nicht die Wissenschaft auch einen Bot programmieren? Einen «Bot for the good» so zu sagen.
Humprecht: Wir müssen sicher über neue Kommunikationspfade nachdenken, ob Bots da der richtige Weg sind, würde ich aber bezweifeln. Denn wir wissen aus der Forschung, dass das Vertrauen in automatisch generierte Inhalte recht gering ist. Aber sicher sollten die Wissenschaft und die Akademien in den sozialen Medien mehr machen. Aber dazu braucht es wieder Fähigkeiten.

«Diese unglaubliche Breite aus Sorgen und Argumenten, die es gegen die Impfung gibt, kann man nicht mit einem einzigen Argument beiseite wischen.»Marcel Salathé

Herr Hausmann, wie also redet man mit Personen, die nicht gut informiert sind?
Hausmann: Erlauben Sie mir zu sagen, dass das die falsche Frage ist. Wir müssen vom Individuum ausgehen. Ein Individuum hat Bedürfnisse und steht vor einer Entscheidung. Es stellt sich eine konkrete Frage: Soll ich mich impfen lassen oder nicht.

Daniel Hausmann

Daniel Hausmann ist Psychologe an der Universität Zürich. Er forscht zur Entscheidungsfindung bei Themen aus den Bereichen Medizin und Gesundheit sowie zum Umgang mit Unsicherheit und Wahrscheinlichkeiten.

Salathé: Ich würde auch sagen, dass die Frage falsch ist. Wie reden wir mit den Leuten? Was wir auch machen müssen, ist zuhören. Da ist aber das Problem, dass wir das nicht skalieren können. Zu beliebig vielen Leuten reden kann man zum Beispiel auf Twitter. Aber Zuhören kann man nur einzelnen Personen. Hier sind Ärzte und Ärztinnen, das Pflegepersonal und alle auch in der Familie und im Freundeskreis gefordert. Durch Zuhören kann man verstehen, wo die Sorgen sind. Diese unglaubliche Breite aus Sorgen und Argumenten, die es gegen die Impfung gibt, kann man nicht mit einem einzigen Argument beiseite wischen.

Marcel Salathé

Marcel Salathé leitet das Labor für digitale Epidemiologie an der ETH Lausanne. Er war bis Februar 2021 Mitglied der Covid Taskforce des Bundes und war massgeblich an der Entwicklung der Contact-Tracing-App beteiligt.

Hausmann: Genau. Jemand, der Angst vor Nebenwirkungen hat, ist nicht gleich zu behandeln wie jemand mit einer Autoimmunerkrankung, oder jemand, der nicht weiss, wie man einen Impftermin bucht oder keine Zeit hat. Da muss man individuelle Lösungen suchen. Und dafür braucht es jemanden, der einem zuhört, einen ernst nimmt und dann versucht, gemeinsam Lösungsvorschläge zu suchen und die nächsten Schritte zu planen.

Humprecht: Ich denke auch, dass es wichtig ist, in einen Dialog einzutreten und Ängste ernst zu nehmen. Personen im Umfeld auszugrenzen oder gar den Kontakt abzubrechen kann dazu führen, dass diese sich mit ihren Ängsten allein gelassen fühlen und sich eher Informationsquellen zuwenden, die Ihre Ängste bestätigen – wie zum Beispiel die genannten Telegram-Kanäle.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man nicht werten soll. Dass man dem Gegenüber nicht das Gefühl geben soll, dass man es besser weiss. Ist es schwierig Herr Salathé, nicht zu werten, wenn man so viel weiss wie Sie?
Salathé: Ich habe mich immer gegen wertende Begriffe wie eben «Antivaxxers» gewehrt. Man soll nicht aggressiv sein.

Aggressivität erzeugt Gruppenbildung und dann ist es schwieriger, die Leute da rauszuholen.
Salathé: Total schwierig. Und für uns Wissenschaftler ist es doppelt schwer. Denn wir sitzen ja nicht im Kreis und halten uns mal alle die Hände. Ein grosser Teil unseres täglichen Business ist Kritik, Debatte, Argument – jemandem sachlich beweisen, dass er falsch liegt. Das ist zwar nicht immer angenehm, aber es ist das, was die Wissenschaft weiterbringt.

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Der Text basiert auf einer Podiumsdiskussion im Rahmen des Zurich Film Festivals, veranstaltet von Eye on Science mit der Unterstützung von Life Science Zurich, ETH Zürich und EPF Lausanne.
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