Das musst du wissen

  • Wegen liberalen Massnahmen und einem günstigen Branchenmix kam die Schweizer Wirtschaft besser weg als andere Länder.
  • Allgemein war die Wirtschaftspolitik erfolgreich – die Härtefallentschädigungen aber kamen ein halbes Jahr zu spät.
  • Auf die Gesamtwirtschaft hat die Pandemie heute praktisch keinen Einfluss mehr.
Den Text vorlesen lassen:

Herr Brülhart, im Frühjahr 2020 ist das Bruttoinlandprodukt BIP massiv eingebrochen, heute ist es etwa so hoch wie vor der Krise. Und die Prognosen für die nächsten zwei Jahre zeigen steil nach oben. War also alles nur halb so schlimm?
Es kommt darauf an, womit man das vergleicht. Historisch betrachtet war es sehr schlimm. Es ist die drittgrösste Rezession in der Schweiz seit dem Zweiten Weltkrieg und die grösste seit fast fünfzig Jahren. So gesehen ist es ein grosser wirtschaftlicher Rückschlag. Anders sieht es aus, wenn man es mit den Prognosen beim Ausbruch der Pandemie vergleicht, wo man von Einbrüchen im zweistelligen Prozentbereich ausging. Dann ist es nun im Nachhinein weniger schlimm herausgekommen als ursprünglich befürchtet.

Woran liegt das?
Am Anfang wusste man nichts, da waren die schlimmsten Szenarien denkbar und möglich. Das Blatt zum Guten gewendet hat die schnelle Entwicklung und Verteilung der Impfung. Dass das so schnell geht, wagten auch die grössten Optimisten unter uns Ökonomen nicht zu hoffen. Die Impfung ist der Hauptgrund, dass die wirtschaftlichen Prognosen gegen oben korrigiert werden konnten. Die rasche und möglichst umfassende Durchimpfung ist die beste Konjunkturpolitik. Denn je mehr Leute geimpft sind, desto weniger Massnahmen sind nötig.

Marius Brülhart

Marius Brülhart ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Lausanne und Mitglied der Covid-19-Taskforce. Seine Forschungsinteressen umfassen die öffentliche Wirtschaft, die regionale Wirtschaft und den internationalen Handel.

Kam darum auch die wirtschaftliche Erholung so schnell?
Genau, auch die Erholung verlief dank der Impfung schneller als befürchtet.

Was ist der grösste Unterschied zur Finanzkrise von 2008?
Das sind zwei völlig andere Krisen. Die Covid-Krise ist ökonomisch gesehen der viel einfachere Fall. Es ist wie eine Naturkatastrophe, etwa ein Vulkanausbruch. Ein solcher hat mit der Struktur der Wirtschaft nichts zu tun. Die lief vorher sehr gut, mit der Katastrophe kam es dann zu Einschränkungen zum Schutz der Volksgesundheit. Sobald diese aber aufgehoben wurden, konnte die Wirtschaft wieder mit Vollgas loslegen. Vor allem, nachdem sie mit staatlichen Unterstützungsgeldern warm gehalten worden war. In der Finanzkrise war das ganz anders. Denn diese ist aus der Wirtschaft selber entstanden, also ein sogenannter endogener Schock. Wichtige Teile des Wirtschaftssystems gerieten in ein Ungleichgewicht. Darum war es so schwierig da raus zu kommen, das war ein langer Prozess.

«Die Schweiz muss voraussichtlich weder die Steuern erhöhen noch Sparpakete schnüren.»

Im Vergleich mit anderen Ländern kam die Schweiz in der Corona-Krise sehr gut davon, wieso?
Man hat weniger stark eingegriffen. Gerade was die Wirtschaft anbelangt war die Schweiz eines der liberalsten Länder. Ein Glück für die Schweiz war auch ihr Branchenmix: Es sind hier eher krisenresistente, wenn nicht sogar krisenprofitierenden Branchen wie die Finanzbranche oder die Pharmaindustrie stark vertreten. Exponierte Branchen wie das Gastgewerbe, die Kultur- oder Reisebranche hingegen, die stark in Mittleidenschaft gezogen wurden, haben in der Schweiz ein kleineres Gewicht als in anderen Ländern.

Die Schweiz hat auch trotz hohen Ausgaben kaum Schulden gemacht.
Auch hier sind wir sehr glimpflich davon gekommen: Die Schweiz muss voraussichtlich weder die Steuern erhöhen noch Sparpakete schnüren. Zusätzlich Schulden werden innerhalb der Schuldenbremse wegschmelzen, da hierzulande im ganz normalen Budgetprozess jährlich ungefähr eine Milliarde an Überschüssen anfallen.

«Das Gewerbe war unsicher, ob man nochmals Hilfe bekommen würde. So hat es dann gegen jegliche weitere Einschränkungen lobbyiert.»

Das ist eindrücklich, hat man letztes Jahr doch so um Finanzhilfen gerungen.
Das ist der grosse Sündenfall. Im Spätsommer 2020 waren die Covid-Kredite aus der ersten Welle am Auslaufen und wurden bewusst nicht verlängert. Es kamen Signale, dass man mit der Verschuldung aufpassen müsse und man sehr zurückhaltend sein müsse, nochmals Staatsgelder einzuschiessen. Die Folge war, dass das Gewerbe unsicher war, ob man nochmals Hilfe bekommen würde. So hat es dann gegen jegliche weitere Einschränkungen lobbyiert. Das hat grosse politische Widerstände gegen einen weiteren Slowdown gegeben. Und darum ging es im Oktober, November zu lange: Die zweite Welle konnte sich entfalten und hat rund 8000 Personen das Leben gekostet.

Einen geraumen Teil davon hätte man vermeiden können, wenn man ein paar Wochen früher eingeschritten wäre. Und hier ist von mir aus gesehen die Wirtschaftspolitik auch in der Schuld, weil man zu zögerlich war. In diesem Moment hätte man die normalen Denkmuster auf die Seite stellen und sagen müssen: Jetzt droht eine Katastrophe und da müssen wir in andern Grössenordnungen und Schemen denken. Man hat versucht die Wirtschaftshilfen abzustellen und sich überhaupt nicht darauf vorbereitet, dass eine zweite Welle kommen könnte. Die Härtefallentschädigungen wurden im Oktober 2020 von der Verwaltung erst so langsam angedacht. Das hat die ganze politische Reaktion unnötig verzögert. Erst im Januar 2021 wurden die Härtefallzahlungen grossflächig bewilligt und aktiviert.

Kam der Schweiz hier auch ihr Föderalismus in den Weg?
Ja, in diesem Moment war Föderalismus sicher kein Vorteil. Im Allgemeinen ist er meines Erachtens ein Trumpf der Schweiz. Aber in der Akutphase einer Pandemie, in der jeder Tag oder mindestens jede Woche zählt, verlangsamen kantonale Konsultationsprozesse die Entscheidungsfindung.

Was sagen Sie dazu, dass die Kredite bloss das Sterben einiger Betriebe herausgezögert hat, die sowieso bald eingegangen wären?
Das ist eine interessante Diskussion. Es ist eine Abwägung. Einerseits hat man mit den Ausfallentschädigungen verhindert, dass Firmen unnötig in Konkurs geben. Andererseits besteht das Risiko, dass man gewisse Firmen, die eh nicht überlebensfähig wären, weiter am Leben hält. Das eine gibt es nicht ohne das andere. Die Einschätzung von uns Ökonomen war, dass das erste Risiko grösser ist. Dass es also schlimmer wäre, eine Konkurswelle in Kauf zu nehmen, als das eine oder andere Unternehmen vorübergehend künstlich am Leben zu erhalten.

Was sind die Lehren für die nächste Pandemie, ist die Schweiz gewappnet?
Grundsätzlich ja, das Epidemiengesetz und das Kurzarbeitsinstrument haben sich bewährt. Letzteres war wirtschaftspolitisch der grösste Trumpf. Was fehlt ist eine gesetzliche Grundlage und ein Mechanismus, wie man die Entschädigungen für Nicht-Lohnkosten wie Geschäftsmieten in solchen Notfallsituationen organisiert. 2020 hat man die Härtefalllösung zusammengeschustert, aber das könnte man mit etwas mehr Bedenkzeit wohl noch effizienter regeln. Somit müsste man dieses wichtige wirtschaftspolitische Instrument bei der nächsten Pandemie nicht noch einmal in der Hitze des Gefechts neu erfinden.

Noch ist die Pandemie nicht vorbei, wie stark ist die Entwicklung der Wirtschaft noch von deren Verlauf abhängig?
Die Wirtschaft ist zum Glück kaum mehr beeinträchtigt. Die Zertifikatspflicht hat in der Hotellerie und der Gastronomie in den ersten Wochen zu Umsatzeinbussen von schätzungsweise fünf bis zehn Prozent geführt. Das sind im Vergleich zum Vorjahr kleine Einbussen in einer gesamtwirtschaftlich kleinen Branche. Es gibt Branchen, wo das Leiden noch nicht vorbei ist – man denke an die Geschäftsreisen, gewisse Kulturveranstalter oder die Gastronomie in ländlichen Regionen. Für die Wirtschaft insgesamt ist Corona im Grossen und Ganzen aber ausgestanden. Es sei denn, wir werden von einer noch schlimmeren neuen Mutante überrascht…

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