Das musst du wissen
- Seit 18 Jahren arbeitet Adrian Glauser am neuen Weltraumteleskop.
- Faszination an der Astronomie genügt dafür nicht: Man braucht auch viel Geduld.
- Und man braucht den Blick fürs grosse Ganze: Eine Forscherkarriere ist viel zu kurz für die Entdeckung des Alls.
Der Countdown läuft: In den turmhohen Hallen an der tropischen Regenwaldküste von Französisch-Guyana laufen die letzten Vorbereitungen für den Start des James-Webb-Weltraumteleskops. Voraussichtlich am 24. Dezember wird es mit einer Ariane-5-Rakete ins All geschossen. Und für über tausend Wissenschaftlerinnen und Techniker geht ein gewaltiges Projekt zu Ende. Sie haben zum Teil jahrzehntelang an der Entwicklung von «Webb» gearbeitet, wie sie ihr Teleskop freundschaftlich kurz nennen.
Eine halbe Karriere für eine Mission
«Ich wusste sofort, da muss ich dabei sein», erzählt Adrian Glauser. Vor 18 Jahren öffnete er eine E-Mail vom Paul Scherrer Institut – die Antwort auf seine Blindbewerbung, die er als Teilchenphysik-Student für eine Doktoratsstelle geschrieben hatte. Es starte ein neues Projekt für ein Weltraumteleskop, hiess es in der Mail. Adrian Glauser war elektrisiert und sagte zu. Er wurde zum Assistenten der Projektleitung und arbeitete fortan im Team seines Doktorvaters Alex Zehnder am Schweizer Beitrag zum Next Generation Space Teleskope. «Ich wusste damals natürlich nicht, dass mich das Projekt, das später den Namen James Webb erhielt, mein halbes Berufsleben begleiten würde», sagt der heute 44-Jährige.
Für den ambitionierten Doktoranden war es ein logischer Schritt auf einem Weg, der seit Kindestagen vorgezeichnet war. Im Alter von zehn Jahren bekam Adrian Glauser von seinem Grossvater, einem passionierten Hobby-Astronomen, sein erstes Fernrohr geschenkt. Zur gleichen Zeit las er in der Schule die Biografie von James Irwin, dem achten Menschen auf dem Mond. Doch im Gegensatz zu anderen Kindern war Adrian Glausers Kindheitstraum nicht, Astronaut zu werden: «Ich habe mich immer bei der Nasa gesehen», sagt er heute, «aber nicht oben, sondern am Boden, im Mission Control Center.»
Von Anfang an stand für ihn nicht das Abenteuer im Zentrum, sondern die Technik. Seit zum letzten Mal ein Mensch den Mond betrat, sind bald fünfzig Jahre vergangen. Heute arbeiten die Entdecker des Weltalls nicht mehr auf Raumfähren, sondern im Labor und am Computer. «Es ist dramatisch, was wir in einem so kleinen Zeitfenster der Menschheitsgeschichte alles gelernt haben», sagt Glauser, der im Zeitalter der immer besseren Beobachtungsmethoden ganz vorne mit dabei sein will. «Ich mag die Herausforderung, etwas zu tun, das ich noch nicht kann, egal, worum es geht.» Das kann beim Programmieren sein, beim Rätsel lösen – oder beim Brot backen. «Beim zweiten Mal macht es schon nicht mehr so viel Spass.»
Geduldsprobe Weltraumforschung
Für einen Entdecker wie Adrian Glauser war das grösste Weltraumteleskop aller Zeiten also wie gemacht. Noch ehe er seine Dissertation fertig geschrieben hatte, war Glauser selbst Leiter des Schweizer Webb-Projekts. 2008 lieferte sein Team, das im gleichen Jahr vom Paul Scherrer Institut an die ETH Zürich wechselte, seinen Beitrag zum Grossprojekt ab. Zusammen mit den Industriepartnern Ruag Space und Syderal hatten sie verschiedene Komponenten für das Weltraumteleskop entwickelt: Eine Klappe, die einen der Bildsensoren schützt, und Kabel, die die nahe an den absoluten Nullpunkt heruntergekühlten Instrumente versorgen. Diese Komponenten wurden in das europäische Instrument MIRI eingebaut, welches schon 2012 fertig wurde. Damals war der Start für 2014 geplant.
Doch dann kam die Nachricht, dass sich die Mission um mindestens vier Jahre verzögern würde. Ein harter Schlag für jemanden, der im Kopf immer schon einen Schritt weiter ist. «Wir waren so nah dran. Wir testeten unsere Bauteile mit Erfolg in den Kältekammern – und dann steht alles still, weil an ganz anderer Stelle Probleme aufgetreten waren», erinnert sich Glauser. «Das war für alle enorm frustrierend.» Doch sein Credo war immer: Wer sich an die Grenzen des Möglichen wagt, darf sich von Problemen nicht abschrecken lassen. «Bei so einem Unterfangen muss man immer bereit sein, Verzögerungen in Kauf zu nehmen.» Seitdem prüfen die verbleibenden Teammitglieder die allmählich alternden Komponenten regelmässig auf ihre Funktionstüchtigkeit. Daneben bereitet ein kleines Team die aufwändige Inbetriebnahme und Kalibrierungsphase vor, die nach dem Start beginnt.
Ein Fehler ist keine Option
Denn wenn nach dem Start etwas klemmt, hätte das desaströse Folgen. Das für den Start zusammengeklappte Grossteleskop muss sich auf dem Weg zu seinem Beobachtungsort weit draussen im All entfalten. Ein Vorgang mit Hunderten von Einzelschritten. Läuft nur ein einziger schief, funktioniert das zehn Milliarden Dollar teure Teleskop möglicherweise niemals richtig.
Dabei spielt auch der Beitrag aus der Schweiz eine gewichtige Rolle. So unscheinbar die von Glausers Team entwickelte Schutzklappe ist, die den Infrarotsensor des europäischen Beobachtungsmoduls schützt: Wenn sie sich nicht wie geplant öffnet, wird kein Lichtstrahl je den Bildsensor des sogenannten MIRI-Instruments erreichen. «Failure is no option», schrieb Glausers Doktorvater in den Forschungsplan. Gleiches gilt auch für die gesamte Raumfahrt, in der Technologie dementsprechend sehr konservativ eingesetzt wird. Das heisst: Wo immer möglich greife man auf das zurück, was sich bereits auf vorherigen Missionen bewährt hat, sagt Glauser. «Das James- Webb-Teleskop ist in der Summe seiner Funktionen innovativ, aber nicht in den einzelnen Komponenten.»
Die nächste Generation faszinieren
Auf Bewährtes zurückgreifen – keine einfache Aufgabe für jemanden, der wie Adrian Glauser nichts gerne zweimal macht. «In meiner Rolle als Vorgesetzter verbringe ich zwar einen grossen Teil meiner Arbeitszeit mit Management, Projektplanung, Personal», räumt er im Gespräch ein. «Doch der Motor ist immer die Astronomie. Sie treibt mich in meiner Arbeit an, die natürlich auch ihre Frustmomente hat.»
«Die Frage nach Leben ausserhalb der Erde ist fundamental. Wir stehen so kurz davor, sie zu beantworten – das beeindruckt mich.»Adrian Glauser, Astrophysiker
Glauser ist überzeugt, dass die Welt mit Webb den ganz grossen Fragen einen Schritt näherkommt. «Die Frage nach Leben ausserhalb der Erde ist fundamental», sagt er. «Wir stehen so kurz davor, sie zu beantworten – das beeindruckt mich.»
Webb wird mit seinen Sensoren fremde Planeten genauer in den Blick nehmen können als je zuvor. Glauser glaubt, dass die Astronomie damit heute junge Menschen so inspirieren kann, wie ihn einst der Astronaut James Irwin.
Aufgaben für mehr als ein Forscherleben
Wenn Webb das nicht schafft, dann vielleicht ein anderes Projekt von Adrian Glauser. Denn er ist schon beim übernächsten Schritt. Die Planungsphase des Extremely Large Telescope – das grösste je gebaute erdgebundene Teleskop – ist beinahe abgeschlossen. Dort ist Glauser technischer Projektleiter eines europäischen Beobachtungsinstruments. Und in seinem ETH-Labor auf dem Hönggerberg stehen bereits die Versuchsaufbauten für ein sogenanntes Interferometrie-Weltraumteleskop, das noch detailliertere Aufnahmen verspricht. Es ist eine Initiative von Glauser und dem ETH-Professor für Astrophysik Sascha Quanz. Zusammen werben sie derzeit bei der Europäischen Raumfahrtbehörde Esa um Finanzierung. «Sascha treibt das Projekt auf der wissenschaftlichen Ebene voran, ich auf der technischen. Wir beide brauchen diese langfristige Vision, die uns antreibt.»
Und die Weltraumforschung braucht Menschen wie Adrian Glauser. Mit dem Blick fürs Grosse, mit Perspektiven, die über den Horizont des Individuums reichen. Menschen, die sich in den Dienst von Missionen stellen, die so lange dauern, dass sie für den Einzelnen kaum noch greifbar sind. «Es sind Generationenprojekte», sagt Glauser. «Meine Vorgänger sind pensioniert, nach mir werden sich andere mit der Datenauswertung beschäftigen – da darf man nicht von einer Einzelperson reden.» Vielleicht ist es ihm auch daher so wichtig, eine neue Generation zu begeistern: Mit seinen zwei Kindern im Schulalter und seinen Studierenden von der ETH betrachtet Glauser auch ohne milliardenschwere Technik den Sternenhimmel. Und hofft, dass andere sein Werk fortführen. «Zeit ist knapp», sagt der 44-Jährige, der seit 18 Jahren an Webb arbeitet. «Ich geniesse das Privileg, nicht in Jahresbudgets oder kurzen Zeitrahmen denken zu müssen.» Ob er aber den Start seines Interferometrie-Teleskops noch miterlebt, weiss er nicht. Eine Idee, wie es klappen könnte, hat er aber schon. Lachend sagt er: «Ich hoffe, dass das Rentenalter bis zu meiner Pensionierung weiter angehoben wird.»