Er hat ganz schön viel zu tun. Der Sequenzier-Roboter im Labor des Universitätsspitals Basel analysiert gleichzeitig die Erbgutinformation von Bakterien in Dutzenden Fäkalproben. Die Proben, die in kleinen Röhrchen ins Labor angeliefert wurden, stammen von Touristinnen und Touristen, die aus Indien zurückgekehrt sind.

«Wir bekommen Proben aus der ganzen Welt», sagt Adrian Egli. Der Mediziner leitet die Abteilung Klinische Bakteriologie und Mykologie (Pilzwissenschaft) und führt derzeit erste Versuche durch für das internationale Projekt „The Microbiota Vault (zu Deutsch: der mikrobiotische Tresor).

Dabei geht es – kurz gesagt – darum, das weltweite Mikrobiom, also sämtliche Mikroorganismen, in einer Art Archiv zu katalogisieren und für die Nachwelt zu bewahren. Im Zentrum steht dabei der Mensch.

Denn unsere Darmflora hat grosse Auswirkungen auf unsere Gesundheit und Psyche. Das Problem: Die mikrobielle Vielfalt ist weltweit durch Verstädterung und grosse Umweltveränderungen bedroht.

Von den Proben aus Indien erhofft sich Egli, besser zu verstehen, wie die Bakterienzusammensetzung sich im Darm verändert und dies mit der Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen zusammenhängt. In den Proben können sich nach einer Asienreise auch Bakterien tummeln, die multiresistent gegen Antibiotika und somit eine Gefahr für uns sind.

Die Zusammensetzung der Darmflora beeinflusst die Gesundheit und erlaubt Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand einer Person. Ein erwachsener Mensch beherbergt Hunderte von Bakterienarten (Spezies), die insgesamt bis zu zwei Kilogramm wiegen und den Stoffwechsel sehr stark beeinflussen. Der «Microbiota Vault» soll dabei helfen, diese komplizierten Zusammenhänge besser zu verstehen.


Radio SRF: Der Darm ist mitentscheidend für unsere Psyche. Er kann uns glücklich oder unglücklich machen. Welche Verbindung zwischen Darm und Gehirn besteht und wie der Darm unsere Ernährung und unsere Psyche beeinflussen kann, das hat Gregor Hasler in seinem Buch «Die Darm-Hirn Connection» festgehalten. (Gespräch in Dialekt)

In einer einzigen Stuhlprobe hat es Milliarden von Mikroorganismen, so dass ein paar wenige Gramm zur Sequenzierung ausreichen. «Wir teilen diese Stuhlproben in kleine Portionen auf und frieren sie unter unterschiedlichen Bedingungen ein», sagt Egli. So könne verglichen werden, welche Lagerbedingung für eine bestimmte Probe am besten geeignet sei.

Diversität erhalten

Spätestens seit dem Grosserfolg des populärwissenschaftlichen Buchs «Darm mit Charme» aus dem Jahr 2014 sind auch breitere Teile der Bevölkerung auf das Thema aufmerksam geworden.

In unserem Darm tummeln sich Billionen von Mikroorganismen, die uns nicht nur bei der Verdauung helfen, sondern auch eine unglaubliche Vielfalt an Tätigkeiten in unserem Körper ausführen. Zum Beispiel helfen sie uns bei der Aufnahme von Vitaminen oder der Stimulierung des Immunsystems.

Unsere Nahrung verarbeiten wir in vielen chemischen Reaktionen. Laut Experten findet nur ein Teil dieser chemischen Reaktionen direkt in unserem Körper statt. Viele von ihnen übernehmen Mikroben für uns.

Zudem kann sich das Immunsystem nur dann normal entwickeln, wenn Mikrobiota im Darm vorhanden sind. Ganz wichtig für die Gesundheit ist, dass das Mikrobiom im Darm so divers wie möglich ist. Ein diverses Mikrobiom bedeutet gesündere Menschen und Tiere.

Ähnlich wie es für Pflanzen bereits auf Spitzbergen mit dem «Svalbard Global Seed Vault» gemacht wird, soll für das Nonprofit-Projekt «The Microbiota Vault» möglichst das gesamte Mikrobiom, das Menschen und Tiere besiedelt, gesammelt und katalogisiert werden.

Dazu kommen Mikroben aus fermentierten Lebensmitteln, von denen sich die Medizin ebenfalls gewisse Erkenntnisse erhofft. Besonders die Milchsäurebakterien sollen gut für die Gesundheit sein.

«Die Diversität des Mikrobioms ist bedroht», sagt Dominik Steiger, Sekretär der Initiative «The Microbiota Vault», der die Startphase des Projekts leitet.

Als Gründe nennt er die sich ändernden Lebensweisen der Menschen: Urbanisierung, Globalisierung, die rasche Veränderung der Lebensumstände indigener Gesellschaften sowie die Veränderung von Ökosystemen, auch im Zusammenhang mit dem Klimawandel oder mit der Zerstörung von natürlichen Lebensräumen.

Das alles vereinheitlicht das Mikrobiom in unserem Darm zusehends. «Wir verlieren dessen Diversität zu einem Zeitpunkt, wo wir gerade anfangen, die Relevanz des Mikrobioms zu verstehen», sagt Steiger. Deshalb sei es an der Zeit, zu handeln.

Ein Tresor für Mikroben

Das betont auch Andrew Macpherson von der Universität Bern. Er geht in seinen Forschungsprojekten den Interaktionen zwischen Mikroben und dem Menschen auf den Grund. Macpherson ist nicht direkt am Projekt beteiligt, kennt aber alle Akteurinnen und Akteure.

«Jetzt ist der Moment, falls wir etwas dagegen tun wollen. Daher unterstütze ich dieses Projekt voll und ganz, das ich sowohl mit dem Gründerteam wie auch mit einigen der derzeitigen Mitarbeitenden besprochen habe», sagt er.

«Wir verlieren die Diversität des Mikrobioms zu einem Zeitpunkt, wo wir gerade anfangen, dessen Relevanz zu verstehen.» Dominik Steiger, Projektleiter „The Microbiota Vault“

Ziel ist es, die Diversität des weltweiten Mikrobioms zu bewahren und zu katalogisieren, um es besser studieren zu können. Laut Steiger ist es wichtig, ein System mit armen wie reichen Ländern aufzubauen, «das auf Gerechtigkeit und gegenseitigem Nutzen beruht».

Das bedeutet, dass nicht nur Schweizer Forschende Proben sammeln, sequenzieren und katalogisieren sollen. Sie sollen mit internationalen Fachleuten zusammenarbeiten und unter Einbezug Netzwerk von bereits bestehenden Sammlungen aufbauen.

Steiger sagt dazu: «Das Besondere bei unserer Initiative ist, dass wir sagen: Alle Depositoren, also alle lokalen Sammlungen, bleiben souverän über ihre Proben, die sie bei uns einlagern. Wir haben eine Art Treuhand-Schema.»

Wahl fiel auf die Schweiz

Die Idee für das Projekt stammt von einer internationalen Gruppe von Mikrobiomforschenden, die dazu einen Artikel im Fachmagazin «Science» veröffentlicht hatten. Sie liessen eine Machbarkeitsstudie durchführen, die verschiedene mögliche Standorte verglichen hat. Schliesslich entschied sich «The Microbiota Vault» für die Schweiz.

Steiger will allerdings festgehalten haben, dass die Standortwahl nicht exklusiv sein muss. Das Projekt in Zusammenarbeit mit Forschenden der Rutgers University in New Jersey, USA, der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH), der Universitäten Basel und Lausanne ist Ende 2021 hierzulande angelaufen.

«Das Projekt ist eine unglaubliche Möglichkeit für die Schweiz.»Adrian Egli, Mediziner

Dafür konnten die Initiantinnen und Initianten aus der ganzen Welt – darunter zwei Nobelpreisträger – eine Million Franken zusammenbringen. Die grössten Beiträge stammen von vier Stiftungen (Gebert Rüf Stiftung, Seerave Foundation, Rockefeller Foundation, Oak Foundation).

Da man bei einem solchen Projekt in Zeitdimensionen von Jahrzehnten denke, sei es besonders wichtig, es in einem stabilen und neutralen Land anzusiedeln, sagt Egli vom Universitätsspital Basel. Andererseits müssten auch die Mittel und Möglichkeiten vorhanden sein, diese Proben sehr gut zu beschreiben. «Das Projekt ist eine unglaubliche Möglichkeit für die Schweiz.»

Im Labor

Unterdessen können wir verfolgen, was mit einer Probe geschieht, wenn sie bereit zur Lagerung ist. Eine Mitarbeiterin öffnet einen riesigen Tiefkühler, darin herrscht konstant minus 80 Grad. Eine dicke Eisschicht macht sichtbar, dass die Proben sehr kalt gelagert werden. Bei diesen tiefen Temperaturen ist schnelles und sicheres Arbeiten wichtig, um nicht die Haut zu schädigen.

«Man kann auch Bakterien nicht einfach so einfrieren, sonst würden sie absterben», gibt Egli zu bedenken. Durch Kristallbildung gehe die bakterielle Zelle kaputt. Für den «Microbiota Vault» sollen den Bakterien spezielle Konservierungsstoffe hinzugegeben werden, so dass sie die Tiefkühlung überleben können. Das Verfahren wird derzeit in der Pilotphase des Projekts festgelegt.

Und wie sieht es mit der Sicherheit und Qualität einer solchen Sammlung aus? Besteht nicht die Gefahr von Kontaminationen oder Veränderungen über die lange Lagerzeit? Laut Egli sollen die Proben mit international anerkannten, vereinheitlichten Methoden so präzise wie möglich beschrieben werden, damit klar sei, ob eine Probe möglicherweise Antibiotikaresistenzen oder Toxine (Giftstoffe) enthält. Gefährliche Erreger sollen separat eingefroren werden.

Zum Qualitäts-Konzept des «Microbiota Vault» gehört zudem eine Überprüfung auf mögliche Veränderungen in der Zusammensetzung der eingelagerten Proben, denn eine Probe kann sich auch während dem Einfrierprozess noch verändern. Deshalb soll die Vielfalt der Bakterien in einer Probe vorher genau dokumentiert werden, und beim Auftauen soll mit der gleichen Methode festgestellt werden, ob sich etwas verändert hat.

Die saubere Dokumentation der Proben sei ein zentrales Element des Projekts. «Es ist wichtig, dass man weltweit das gleiche Vokabular verwendet. Das ist wie bei einer Sprache: Ich kann nicht etwas einmal auf Französisch anschreiben und einmal auf Deutsch», so Egli.

Längerfristig eingelagert werden könnten die voraussichtlich über 100 000 Proben möglicherweise in einem ehemaligen Militärbunker in den Schweizer Alpen. «Es braucht allerdings viele Investitionen, und es wird noch einige Jahre dauern, bis wir soweit sind», sagt Egli.

Dieser Text erschien zuerst bei swissinfo.
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