Das musst du wissen

  • Biolandwirtschaft führt in der Regel zu höherer Biodiversität und weniger Umweltbelastung als konventionelle Methoden.
  • In der Schweiz bewirtschaften Biobauern rund 16 Prozent der Landwirtschaftsfläche.
  • Je mehr Bauern auf Biolandbau umsteigen, desto günstiger werden die Produkte.
Den Text vorlesen lassen:

Herr Niggli, können wir mit unserem gegenwärtigen Landwirtschaftssystem zehn Milliarden Menschen ernähren?
Im Prinzip schon. Wir hätten genug Lebensmittel. Ein besonders grosses Problem ist hier aber Foodwaste. Dass bei der Herstellung von Lebensmitteln Abfall entsteht, ist zwar unvermeidbar. Doch heute enden dreissig Prozent der produzierten Lebensmittel im Abfall, davon wäre die Hälfte leicht vermeidbar. Das müssen wir ändern. Ausserdem konsumieren wir zu viel Fleisch, sodass sehr viel Getreide nur für die Produktion von tierischen Produkten angebaut wird. Würden wir diese Probleme lösen, könnten wir zehn Milliarden Menschen ernähren.

Urs Niggli

Urs Niggli wurde 1953 im Schweizer Mittelland geboren. Er studierte Agrarwissenschaften an der ETH Zürich und forschte danach bei Agroscope Reckenholz und Wädenswil. Von 1990 bis März 2020 war Urs Niggli Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) in Frick im Aargau. Unter seiner Leitung entwickelte sich das FiBL zu einer der weltweit führenden Forschungseinrichtungen zur biologischen Landwirtschaft mit vier internationalen Standorten. Heute ist Niggli Direktor des von ihm gegründeten Instituts für nachhaltige Ernährungs- und Landwirtschaftssysteme agroecology.science und agiert als wissenschaftlicher Berater bei Agroscope. In seinem neuen Buch «Alle satt? Ernährung sichern für 10 Milliarden Menschen» diskutiert Urs Niggli verschiedenste Fragen und Antworten rund um biologische Landwirtschaft und Nahrungssicherheit. Dabei zeigt er Zusammenhänge zwischen früher Agrargeschichte, den Anfängen des Biolandbaus und der Hightech basierten Landwirtschaft von heute und morgen.

Sollen wir Schweizerinnen und Schweizer ganz auf Fleisch verzichten, um den globalen Konsum auszugleichen?
Nein, das wäre völliger Blödsinn. Zwei Drittel der landwirtschaftlichen Nutzfläche in der Schweiz bestehen aus Grasland. Da kann man nicht einfach das Land umpflügen und Getreide anbauen. Dieses Land müssen Wiederkäuer, also Kühe, Schafe und Ziegen, nutzen. Diese Tiere wandeln Gras, das wir nicht essen können, in Fleisch und Milch um. Das ist übrigens global gesehen auch so. Wir brauchen die Wiederkäuer, um das Grasland in hochwertige Lebensmittel für den Menschen zu konvertieren.

Ist Rindfleisch vom regionalen Biobauernhof also besser für das Klima als eine Avocado?
Ja, weil global das Grasland im Überfluss und das Ackerland beschränkt vorhanden sind.

Wie sieht es mit Tieren aus, die kein Gras fressen?
Auch diese sind wichtig, um Abfallprodukte von der Getreide- und Ölfrucht-Verarbeitung zu verwerten. Mit diesen kann man eine gewisse Anzahl von Hühnern und Schweinen nachhaltig ernähren. Allerdings weniger als heutzutage durch Kraftfutter. Für einen nachhaltigen Konsum müsste der Verzehr von Schweine- und Hühnerfleisch sowie Eiern um etwa die Hälfte zurückgehen.

Was sind die Vorteile der Biolandwirtschaft?
Biolandwirtschaft wirkt sich positiv auf viele Umweltfaktoren aus. In der Regel gibt es höhere Biodiversität und die Umweltbelastung, zum Beispiel von Gewässern und Grundwasser, ist tiefer. Für das Klima ist der Biolandbau allerdings nicht direkt besser als die konventionelle Landwirtschaft.

Funktioniert Biolandbau auch in Regionen mit ungünstigen Umweltfaktoren?
Definitiv. Der Biolandbau findet weltweit eher an Grenzstandorten, also in höheren Lagen oder in periodisch trockenen Regionen, statt. Denn dort ist der Ertrag nur etwa zehn bis 15 Prozent tiefer als in der konventionellen Landwirtschaft. Also lohnt sich Biolandbau fast genauso. An «optimalen» Standorten mit fruchtbarem Boden, genügend Wärme und Feuchtigkeit hingegen kann man mit konventioneller Landwirtschaft zwanzig bis dreissig Prozent mehr rausholen. Dort lohnt sich Biolandwirtschaft weniger.

In Ihrem Buch betonen Sie die Bedeutung von Kleinbauern in der Biolandwirtschaft. Ist die Zeit der Grosskonzerne vorbei?
Kleinbauern spielen schon heute eine grosse Rolle bei der globalen Ernährung und im Biolandbau. Allerdings haben auch bei der Biolandwirtschaft Grosskonzerne einen riesigen Wettbewerbsvorteil. In China gab es beispielsweise einen Bio-Grossbetrieb mit etwa 800 000 Hektaren – eine Fläche, so gross wie die Kantone Graubünden und Uri zusammen. Bio ist also keine Frage der Grösse.

Was können kleine Biobetriebe tun, um diesen Wettbewerbsnachteil zu kompensieren?
Wenn zehn Bauern zusammenarbeiten und jeder sein Spezialwissen einbringt, können sie Produktionskosten sparen und geschlossen am Markt auftreten. So gleichen sie die Vorteile der Grossen aus.

Bio-Lebensmittel sind teurer als konventionelle Produkte. Das wirkt auf viele abschreckend. Warum sind Leute in der wohlhabenden Schweiz nicht bereit, diesen zu zahlen?
Ich denke es ist vor allem persönliche Präferenz im Umgang mit dem Haushaltsgeld. In den letzten Jahrzehnten wurde Lebensmittel stetig günstiger und somit hatte man mehr Geld für Wohnen, Freizeit, Bildung und Autos zur Verfügung. Man ist sich also nicht mehr gewohnt, viel Geld für Lebensmittel auszugeben. Zudem glaube ich, dass sich die meisten Menschen nicht so stark damit auseinandersetzen. Bio kauft man für die langfristige Ökologie und viele achten da nicht darauf. Sie sehen nur den Preisunterschied.

Wäre es möglich, diesen Preisunterschied zu tilgen?
Je höher der Anteil an Biobauern desto billiger werden Bioprodukte. Dann wird die ganze Logistik und Verarbeitung billiger, die Transportwege verkürzen sich zum Beispiel. In der Schweiz haben wir mit rund 16 Prozent schon relativ viele Biobauern. Bei hundert Prozent Biolandbau könnte man den ganzen Prozess vereinfachen. Auch die Forschung könnte den Biolandbau noch produktiver und somit günstiger machen.

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Wäre also eine zu hundert Prozent biologische Landwirtschaft global am effizientesten?
Theoretisch schon, aber das ist schlichtweg unmöglich. Heute sind etwa 1,5 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche auf der Welt Bio. Die Umstellung auf hundert Prozent wäre eine gigantische Aufgabe. Die Märkte müssten dies zudem tragen können und Konsumenten müssten bereit sein, mindestens am Anfang den höheren Preis zu zahlen. Auch ist im Biolandbau der Ertrag kleiner und bei zehn Milliarden Menschen hätte man keine Reserven mehr. Grundsätzlich muss man mindesten zehn bis zwanzig Prozent zu viel produzieren, damit es nicht plötzlich zu Ernährungsengpässen und zu extremer Teuerung der Lebensmittel kommen kann. Mit Biolandbau könnten diese Reserven nicht gedeckt werden. Insgesamt ist das also ein illusorisches Szenario.

Was wäre denn die Alternative?
Die konventionelle Landwirtschaft verbraucht viel zu viele natürliche Ressourcen – also Boden, Biodiversität, Wasser und Nährstoffe. Dort müssen wir ansetzen und diese Landwirtschaft nachhaltiger gestalten. So könnten mit der Zeit auch die Grenzen zwischen dem konventionellen und der Biolandbau irgendwann verschwimmen.

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