Das musst du wissen

  • 2010 vergab der Internationale Währungsfonds Kredite an Griechenland, gestützt durch Prognosen von IWF-Experten.
  • Dann stellte sich heraus: Die Experten hatten ihre ursprünglichen Vorhersagen auf Druck durch die EU verändert.
  • Der Soziologe Pierre Pénet untersucht die Mechanismen der Einflussnahme auf Experten und gewann dafür einen Preis.

Als die Europäische Union EU 2017 die Zulassung für das umstrittene Pflanzenschutzmittel Glyphosat erneuerte, geschah dies auf Grundlage eines Gutachtens des deutschen Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR). Doch dieses Gutachten enthielt zu grossen Teilen Passagen, die wortwörtlich aus dem Zulassungsantrag der Industrie übernommen worden waren. Diese «copy-paste»-Technik sei üblich und erst nach kritischer Überprüfung geschehen, verteidigte sich das BfR.

Doch hinter «copy-paste» in Expertenberichten kann auch etwas Dunkleres stehen. Dass nämlich Experten bewusst kopieren, weil sie von der Politik beeinflusst wurden. Dies, obschon sie nach gründlicher Prüfung eines Sachverhaltes eigentlich zu einer anderen, unbequemen Einschätzung gekommen waren – sie aber nicht offiziell verkünden dürfen.

Preiswürdige Forschung

Dass eine solche bewusste Ausblendung von Fakten durch Experten grosser Organisationen tatsächlich geschieht und wie sie funktioniert, hat der Soziologe Pierre Pénet von der Universität Genf am Beispiel des Internationalen Währungsfonds IWF untersucht. Für seine Analyse erhielt Pénet vor kurzem den mit 10 000 Franken dotierten «Nachwuchspreis Gold» der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften SAGW.

In seiner Studie nahm Pénet die Entscheidung des IWF unter die Lupe, Griechenland 2010 Geld zu leihen. Normalerweise springt der IWF ein, wenn sich ein Land in einer finanziellen Krise befindet. Kredit gibt es aber nur, wenn die Schuldenlast des Landes für dieses auch tragbar ist. Ist sie es nicht, so fordert der IWF unter anderem, dass Schuldner dem Land seine Schulden erlassen, sonst fliesst kein Geld.

Pierre Pénet

Pierre Pénet erhielt 2017 den «nachwuchspreis Gold» der SAGW für seine Arbeit zur politischen Einflussnahme auf IWF-Experten. Seit 2016 forscht Pénet als postdoctoral Fellow am Departement für Geschichte, Wirtschaft und Gesellschaft der Universität Genf.
Zuvor arbeitet er am Departement für Internationale Geschichte am «Graduate Institute of International and Development Studies» in Genf.
Seine Promotion erhielt Pénet 2014 im Fach Soziologie von der Northwestern University / SciencesPo in Paris, wo er von 2011 bis 2014 auch in der Lehre tätig war.
Von 2002 bis 2008 studierte Pénet Soziologie in Rennes und Paris.

EU setzte IWF-Experten unter Druck

Im Fall Griechenlands hatten die vom IWF beauftragten Experten verschiedene Vorhersagen zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landes durchgerechnet und waren zu dem Schluss gekommen: Das Land konnte seine Schulden nicht tragen. Ohne Schuldenerlass dürfte der IWF in diesem Fall also kein Geld verleihen. Griechenland die Schulden zu erlassen war aber nicht im Interesse der EU, denn griechische Schulden im Wert von 100 Milliarden Euro lagen unter anderem bei deutschen und französischen Banken.

Aus internen, 2013 geleakten IWF-Dokumenten geht hervor, dass die EU Druck auf die Experten des IWF ausgeübt hat. Sie sollten ihre Vorhersagen so anpassen, dass diese dem IWF eine Kreditvergabe ohne Schuldenerlass erlaubten. Das taten sie dann auch. «Die IWF-Experten sahen sich gezwungen, ein Rettungsprogramm abzusegnen, an das sie selber nicht glaubten», sagt Pénet.

Verstecken hinter den Worten anderer

In offiziellen IWF-Berichten tauchten schliesslich Passagen auf, die aus EU-Dokumenten kopiert worden waren. Solche Plagiate werfen ein schlechtes Licht auf die Gutachter, denn sie zeugen entweder von deren Unfähigkeit oder deren Unwillen. Warum also tun es die Experten trotzdem?

«Ich habe mehrere IWF-Experten befragt», erzählt Pierre Pénet. «Das sind wissenschaftlich arbeitende Menschen. Für sie ist es schrecklich, wenn sie in einem Bericht mit eigenen Worten etwas schreiben müssen, was ihrer eigenen Analyse zuwiderläuft. Das ist schlimmer, als einen Fehler zu machen.» Die «copy-paste»-Methode, so Pénet, sei eine Schutzmassnahme, bei der Experten sich hinter den Worten anderer versteckten und so auch nicht die Konsequenzen für diese tragen müssten. Eine Schutzmassnahme, die auch hinter den kopierten Passagen im Fall Glyphosat stehen könnte, sagt Pénet.

Diesen Beitrag haben wir ursprünglich für nau.ch geschrieben.
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