Das musst du wissen

  • Zu den bestätigten Corona-Infizierten kursieren unterschiedliche Zahlen.
  • Das liegt an unterschiedlichen Informationswegen, unterschiedlicher Technologie, Datenlücken und Datenstaus.
  • So sind die Kantone zum Beispiel schneller darin, die Fälle zu bündeln.

Bezüglich der bestätigten Corona-Infektionen in der Schweiz gibt es einen Zahlensalat. Die Daten der Johns-Hopkins-Universität sagen: 11 125 bestätigte Infizierte und 171 Todesfälle gab es am Nachmittag des 26. März. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) zählt zur gleichen Zeit: 10 714 Personen und 161 Todesfälle. Andere Informationsportale wie jenes des Statistischen Amtes des Kanton Zürichs oder corona-data.ch vom Berner Chem-Informatiker Daniel Probst zeigen nochmals andere Daten. Was stimmt denn nun?

Es gibt zunächst einige grundsätzliche Umstände, welche den Zahlensalat begünstigen:

  • Die Datenwege sind unterschiedlich: Das BAG zählt nur die Fälle, die ihnen offiziell von den kantonalen Gesundheitsämtern mitgeteilt werden. Zwischen Registrierung einer Infektion und Auftauchen derer in der Statistik können bis zu 30 Stunden vergehen – auch weil der Bund technisch weniger modernisiert ist. Die Fälle werden dem BAG per Fax, Telefon oder Email gemeldet. Am 27. März soll ein Webformular dazu kommen. Die Seiten des Statistischen Amtes Zürich und Corona-Data.ch hingegen greifen direkt auf die von den Kantonen veröffentlichten Daten zu und sind somit etwas schneller. Die Daten der Johns-Hopkins-Universität wiederum stützen nicht nur auf die öffentlichen Zahlen der Länder und der WHO ab, sondern werten zudem auch Twitter-Feeds und Online-Nachrichtenportale aus.
  • Die Infektionszahlen sind verspätet: Alle Zahlen, die dokumentieren, wie viele Infizierte es gibt, sind verzögert. Denn aufgrund der Inkubationszeit von zwei bis zehn Tagen gehen die Menschen erst Tage nachdem sie sich angesteckt haben zum Arzt. «Was wir an Zahlen sehen, sind die Leute, die sich knapp vor einer Woche angesteckt haben. Das sind nicht die Leute, die sich jetzt anstecken», sagte BAG-Experte am, 19. März vor den Medien.
  • Es gibt eine hohe Dunkelziffer: Da eine Sars-CoV-2-Infektion nur mit sehr schwachen Symptomen oder sogar komplett symptomfrei verlaufen kann, werden viele infizierte Menschen gar nicht getestet.
  • Es existieren Datenlücken und -staus: Am Wochenende werden weniger Fälle getestet. Die Fälle, die sich dadurch aufstauen, kommen dann erst Montag und Dienstag in die Statistiken und verzerren diese.
  • Es gibt nur so viele Fälle, wie es Tests gibt: Abhängig davon, wie viele Tests durchgeführt werden, verändert sich die Repräsentation der Fälle in den Statistiken.

Zu den Meldewegen von Fallzahlen bei Kantonen und Bund hat die Republik ausführlich recherchiert und berichtet.

«Die unterschiedlichen Zahlen lassen sich leicht erklären», sagt Andreas Amsler, Leiter der Fach- und Koordinationsstelle Open Government Data im Statistischen Amt Kanton Zürich, und führt dazu einen Vergleich an: Bei einer nationalen Abstimmung würden die Stimmen auch von den einzelnen Kantonen ausgezählt, die die Ergebnisse dann weiterleiteten. Das gehe viel schneller, als wenn die Gesamtheit aller Stimmen zentral ausgezählt würde.

Genauso geschieht es mit der Datenübermittlung zu den Corona-Fällen. Das Zürcherische Statistische Amt sammelt mit Computerprogrammen, sogenannten Scrapern, die Daten der öffentlichen Webseiten der Kantone. Jede Stunde überprüfen diese Programme automatisch, ob sich an den Zahlen etwas geändert hat.

«Aktuelle Daten und Informationen sind essentiell, damit man informierte Entscheide fällen kann – gerade bei einem Thema, das laufend Veränderungen unterworfen ist», findet Andreas Amsler. Das Informationsbedürfnis der Bevölkerung anerkennt er ebenfalls. Doch er hält es für wichtig, von der Diskussion über die unterschiedlichen Zahlen wegzukommen, denn diese Abweichungen können gerechtfertigt werden.

Amsler betont, dass die kantonalen Daten eine Ergänzung seien zur Arbeit des BAG, das statistische Amt übernehme nicht dessen Aufgabe, sondern unterstütze es dabei.

Um näher an die Quellen zu gelangen, sollen sich künftig die zuständigen kantonalen Organe und Organisationen mit einer Software namens GitHub direkt in die statistische Arbeit einbringen können. Diese Software macht es möglich, dass viele Entwickler gleichzeitig am gleichen Computerprogramm arbeiten können.

Noch ist die Datenabdeckung lückenhaft, von einigen Kantonen liegen keine aktuellen Angaben zum Coronavirus vor. Doch Amsler ist optimistisch und vertraut darauf, dass aus eigenem Antrieb bald mehr und genauere Daten dazu übermittelt werden.

Auch auf corona-data.ch sind die aktuellsten schweizweiten Coronavirus-Fallzahlen aufgeschlüsselt in Infizierte und Verstorbene. Entwickelt und programmiert hat die Plattform der Berner Informatiker und Doktorand Daniel Probst. «Da ich mich beruflich viel mit Daten herumschlage, habe ich aus Neugier die kantonalen Coronavirus-Fallzahlen mit denen des Bundes verglichen», sagt er im Interview mit higgs. «Dabei habe ich festgestellt, dass das BAG keine aktuellen Zahlen liefert.»

zVg

Daniel Probst ist eigentlich Doktorand an der Universität Bern im Bereich der Pharma-Grundlagenforschung. Die Plattform corona-data.ch entwickelt er in der Freizeit.

Deshalb hat er ein Programm geschrieben, mit denen die Daten aller Kantone auf einer Plattform eingespeist werden. «Von den meisten Kantonen holt corona-data.ch die Daten mittlerweile automatisch, nur wenige muss ich noch von Hand nachtragen.» Ergänzt werden die Zahlen durch Visualisierungen, durch die man die Entwicklung kantonal und chronologisch nachvollziehen kann.

team higgs/Screenshot

Screenshot der Plattform corona-data.ch (27. März, 10.50 Uhr).

Woran aber liegt es, dass das BAG trotz rund 600 Mitarbeitenden es nicht schafft, aktuellere Zahlen zu liefern als eine Person, die das in ihrer Freizeit macht?

«Das kann viele Gründe haben und ich möchte dem BAG auch keinen Vorwurf machen», sagt Daniel Probst. «Die Kompetenzen und Ressourcen des BAG sind vor allem im medizinischen und pharmazeutischen Bereich. Vielleicht ist auch die Infrastruktur bei den Kantonen nicht genügend ausgeprägt.» Was laut Probst auf jeden Fall eine Rolle spielt, ist die Dezentralisierung der Datenerhebung. «In Frankreich und Spanien laufen diese Zahlen einfach in Paris respektive Madrid zusammen, in der Schweiz läuft diese Erhebung unabhängig in den Kantonen. Dementsprechend kommt es zu Verzögerungen.» Hier ist der Biochemiker also anderer Meinung als Andreas Amsler vom Statistischen Amt.

Die Plattform will Probst aber nicht als Kritik am BAG verstanden wissen. «Für Epidemiologen ist es nicht wichtig, die absolut aktuellsten Zahlen zu haben, meine Plattform dient viel eher dem öffentlichen Interesse. Dennoch sollte das BAG nach der Krise bezüglich IT-Infrastruktur und -Know-how über die Bücher.»

Demnächst will Probst auf seiner Plattform auch die Zahl freier Spitalbetten darstellen – also aufzeigen, wie viele Personen in den Kantonen hospitalisiert sind in Relation zu den Anzahl Betten in den Spitälern. «Dazu gibt es jedoch noch keine tagesaktuellen und vertraulichen Zahlen. Ich will auf corona-data.ch keine mutmasslichen Daten präsentieren, deshalb warte ich damit noch auf.»

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