Das musst du wissen

  • Vizepräsident Urs Karrer erachtet die Arbeit der Task Force als Erfolg – auch wenn sie manchmal falsch lag.
  • Von der Kritik aus politischen Kreisen liess sich das Wissenschaftsgremium dabei nicht beirren.
  • Die Zeit für eine «akute Eingriffstruppe» sei jetzt vorbei – jetzt müssen die Aufgaben institutionalisiert werden.

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Herr Karrer, wie ist die Corona-Lage bei Ihnen im Kantonsspital Winterthur im Moment?

Wenn das Ziel der Pandemiepolitik ist, nur die Intensivstationen nicht zu überlasten, dann sieht es gut aus – sonst aber nicht. Im März haben sich etwa zehn Prozent unserer Mitarbeitenden mit Covid-19 infiziert. Darum müssen wir Betten schliessen und den Operationsbetrieb deutlich einschränken. Gleichzeitig hat sich die Zahl der hospitalisierten Covid-Erkrankten seit anfangs März fast verdoppelt. Nur auf der Intensivstation hat sich diese massive Viruszirkulation bisher nicht ausgewirkt. Diese zweite Omikronwelle in den Spitälern ist eine Konsequenz der frühen und weit gehenden Öffnungsschritte und einer ansteckenderen Virusvariante. Wir hoffen jetzt sehr, dass sich die aktuelle Trendwende bei den Infektionszahlen möglichst bald auch in rückläufigen Hospitalisierungen sowie weniger Absenzen beim Personal zeigt.

Mit der Aufhebung der Maskenpflicht hat die Politik also einmal mehr nicht auf die Task Force gehört. Gab es also immer einen Graben zwischen Politik und Wissenschaft?

Die Zusammenarbeit und das Vertrauen mussten sich zuerst entwickeln. Im Herbst 2020, vor der zweiten Welle, ging es ums Überleben der Menschen, und zwar sehr direkt. Damals sind innert drei Monaten – von November 2020 bis Januar 2021 – rund 7000 ältere Schweizerinnen und Schweizer an Covid gestorben. Wären in dieser Phase wirksame Massnahmen zur Eindämmung früher ergriffen worden, hätten sich viele dieser Menschen gar nicht infiziert und würden dank der danach bald verfügbaren Impfung wohl auch jetzt noch unter uns weilen. Vor diesen Risiken hatte die Task Force wiederholt gewarnt. Nachdem diese Welle so dramatisch verlief, folgte eine längere Phase der wissenschaftlich und epidemiologisch gesteuerten Pandemiepolitik. In dieser Phase hatte die Task Force vermutlich einen grösseren Einfluss auf Entscheidungen, um die Pandemie einzudämmen. Aber die Task Force muss sich auch eingestehen, dass manche Risiken, vor denen sie gewarnt hatte, nicht eingetreten sind. Im Frühling 2021 erwarteten wir in der Schweiz eine schwere Welle durch die Alpha-Variante, die zuvor in England eine rekordhohe Sterblichkeit verursacht hatte. Zu dieser Welle kam es nie, obwohl die Politik gleichzeitig Lockerungen beschloss. Die Szenarien der Task Force haben also nicht immer zugetroffen – das darf man kritisch anerkennen.

Für Sie als Vizepräsident war das sicher eine Menge Arbeit – und das ehrenamtlich.

Für die Arbeit in der Task Force wurde ich von meinem Arbeitgeber zu zwanzig Prozent freigestellt. Tatsächlich war der Aufwand natürlich höher – wohl eher vierzig Prozent meiner Arbeitszeit und dann noch ein relevanter Teil meiner Freizeit. Als Vizepräsident und Mitglied des Management-Teams war ich stärker eingebunden als andere. Das waren allein für fixe Meetings rund zehn Stunden pro Woche, dazu kamen Vor- und Nachbereitung, ad-hoc-Meetings und so weiter.

Urs Karrer

Urs Karrer ist Chefarzt medizinische Poliklinik und Infektiologie am Kantonsspital Winterthur und seit März 2021 Vizepräsident der Swiss National Covid-19 Science Task Force.

Als Chefarzt für innere Medizin und Infektiologie haben Sie bereits einen fordernden Job. Was war Ihre Motivation für die Task Force?

Als Infektiologe an einem grossen Spital waren ich und mein Team von Beginn weg bei fast allen Fragen des internen Pandemiemanagements involviert. Wie können wir unsere Mitarbeitenden am besten schützen? Welche Diagnostik brauchen wir? Wie behandeln wir Covid-Erkrankte? Und vieles mehr. Wir haben zu Beginn unzählige Dokumente und Richtlinien verfasst und immer wieder dem aktuellsten Wissensstand angepasst. Covid hat meinen Berufsalltag komplett dominiert. Zudem habe ich mich immer schon stark für Virusinfektionen und deren Bekämpfung durch unser Immunsystem interessiert und dazu auch geforscht. So wurde ich im April 2020 dann angefragt, ob ich mich in der Task Force Untergruppe Immunologie einbringen möchte. Ich habe schnell realisiert, dass ich durch diese wissenschaftlichen Diskussionen sehr viele konkret nützliche Informationen für meine Arbeit im Spital mitnehmen konnte. Umgekehrt hatte ich durch meine Arbeit im Spital eine breite Fronterfahrung, welche ich in die Task Force einbringen konnte. Schlussendlich ist die Corona-Pandemie auch die erste – und hoffentlich einzige – Pandemie in meiner dreissigjährigen beruflichen Laufbahn – und als solche einfach sehr spannend. Die Entwicklung des Coronavirus ist Evolutionsbiologie zum Zuschauen. Hat eine neue Variante einen Selektionsvorteil oder nicht? Welche Variante setzt sich im Kampf um den Wirt durch? Viele Aspekte der Pandemie faszinieren mich.

Einige Forschende haben die Task Force verlassen, zum Beispiel Marcel Salathé oder Dominique de Quervain. Haben Sie nie ans Aufhören gedacht?

Zu Beginn war ich nur Mitglied einer Untergruppe, da war der Aufwand überschaubar. Im April 2021 habe ich dann Manuel Battegay als Vizepräsident ersetzt mit entsprechend hoher Belastung. Ich hatte mit meinem Team und meinem Arbeitgeber abgemacht, dass ich diese Zusatzaufgabe als Vizepräsident spätestens nach einem Jahr wieder beenden würde. Eine Zeit lang lässt sich so eine Aufgabe neben dem Klinikalltag stemmen, aber irgendwann hat man seinen Beitrag geleistet und dann ist es auch gut, wenn neue Inputs kommen. Einige Task-Force-Mitglieder hatten aber sicher auch Mühe damit, dass sie sich innerhalb der Task Force nicht gleich frei äussern konnten wie ausserhalb der Task Force. Auch ich hätte manchmal gerne etwas weniger diplomatisch kommuniziert, aber es war wichtig, dass wir uns an unsere Rolle als beratendes Gremium halten.

Trotz aller Zurückhaltung wurde die Task Force immer wieder aus den Reihen der Politik kritisiert. Wie gingen Sie und die anderen Forschenden damit um?

Seit ich im Managementteam dabei bin, haben wir uns bemüht, so zu kommunizieren, dass es die Entscheidungsträger nicht behindert. Trotzdem gab es Phasen, in denen die Behörden etwas beschlossen und ein Task-Force-Mitglied – vielleicht nicht im Namen der Task Force – diese Beschlüsse kurz darauf kritisierte. Das ist nicht ideal. Deswegen haben wir auch grosse Anstrengungen unternommen, um möglichst klar und mit einer Stimme zu kommunizieren. Gerade die sogenannte Maulkorb-Diskussion, als die Wirtschaftskommission des Nationalrats verlangte, dass sich die Task Force nicht mehr zu Massnahmen äussern dürfte, haben wir auch intern reflektiert. Diese Debatte schien aus unserer Sicht natürlich absurd. Aber trotzdem haben wir hinterfragt, wie wir die Art der Kommunikation verbessern können. Verbesserungspotential gibt es immer.

Jetzt löst sich die Task Force auf eigenen Wunsch auf. Gleichzeitig betonen Sie, wie ernst die Situation nach wie vor ist. Ist das nicht ein Widerspruch?

Eine Task Force ist per Definition eine akute Eingreiftruppe. Nach zwei Jahren Pandemie müssen die Aufgaben und Analysen, die wir leisten, auch von regulären Stellen durchgeführt werden können. Als die Führung im letzten Sommer von Martin Ackermann an Tanja Stadler überging, hatten wir intern bereits die Absicht, dass das Mandat der Task Force im Frühling 2022 enden sollte, da dann die Notwendigkeit einer akuten Eingreiftruppe nicht mehr gegeben sein sollte. Dass nun die besondere Lage wohl endet, schien uns ein guter Moment. Die Entscheidung fiel ganz ohne Druck von aussen. Die kritischen Rufe aus gewissen Parteien oder Lobbying-Gruppen haben uns bei dieser Entscheidung nicht beeinflusst. Dass damit die Pandemie noch nicht vorbei ist, haben wir immer so kommuniziert. Doch die Dichte und Häufigkeit neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse hat abgenommen. Deswegen sollte dieses Wissen nun vom Bundesamt für Gesundheit BAG und anderen Institutionen absorbiert, integriert und an die Politik transferiert werden.

Glauben Sie daran, dass das BAG das schafft?

Auch die Fachleute des BAG haben jetzt zwei Jahre Pandemieerfahrung dazugewonnen. Auch wenn es sich bei der Pandemie weiterhin um eine formidable Herausforderung handelt, kann das gewonnene Wissen jetzt genutzt werden, um dieser Aufgabe gerecht zu werden und daran wird das BAG letztendlich gemessen werden. Die einzelnen Task-Force-Mitglieder verschwinden aber nicht, als Einzelpersonen können die Fachleute weiterhin beraten und Stellung nehmen, einzelne Aufgaben laufen in anderer Form weiter. So behält etwa die Clinical Care Group, die sich mit Covid-Medikamenten auseinandersetzt, weiterhin ein Mandat des BAG.

Also schliessen Sie aus, dass es noch einmal eine Task Force geben wird?

Es wird kein Comeback der Task Force geben. Sollte noch einmal eine Situation auftreten, in der Politik und Behörden wieder eine wissenschaftliche Beratungsgruppe brauchen, dann müssen sie diese mit einem neuen Mandat einberufen.

Und wie geht es für Sie weiter? Könnten Sie sich eine Karriere beim BAG vorstellen?

Eher nicht. Bei einem Job in der Verwaltung würde ich meine tägliche klinische Arbeit doch sehr vermissen. Während der Zeit in der Task Force ist einiges an Arbeit in der Klinik liegen geblieben. Sars-CoV-2 wird mich weiter beschäftigen, aber freue ich mich darauf, wenn ich mich wieder vermehrt auf mein Spital und mein Team konzentrieren kann.

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