Das musst du wissen

  • Einmal abgespeicherte Falschnachrichten sind relativ stabil im Gedächtnis verankert und nur schwer zu beseitigen.
  • Mit bestimmten Strategien lassen sich Falschwahrnehmungen aber zumindest kurzfristig korrigieren.
  • Noch effektiver als das Widerlegen im Nachhinein ist aber, Menschen vorab auf Risiken aufmerksam zu machen.

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Den Text vorlesen lassen:

Frau Kessler, eine neue Studie zeigt, dass Faktenchecks den Glauben an Fehlinformationen verringern können, der Effekt aber nicht langfristig wirkt. Wie ist das zu erklären?

Fake News sind oft strategisch kommuniziert, visuell hübsch aufbereitet, haben etwas Emotionales und Überraschendes an sich und wirken sogar plausibel. In den Köpfen der Menschen bilden sie ein sogenanntes mentales Bild, das eine einfache Erklärung für etwas liefert. Und je länger Menschen dieses Bild dann im Kopf haben, desto mehr wird es ins Gedächtnis integriert und ist schwer veränderbar. Wird eine Fehlwahrnehmung widerlegt, entsteht eine Lücke in diesem Bild. Psychologische Studien zeigen nun aber, dass viele Menschen ein falsches Bild gegenüber einem unvollständigen oder unsicheren bevorzugen. Das heisst: Wenn es keine bessere Erklärung gibt, entscheiden sich die Menschen für die falsche Erklärung. Wird die Lücke mit einer neuen Information geschlossen, kann es auch dazu kommen, dass richtige und falsche Informationen im Kopf nebeneinander existieren und um Aktivierung konkurrieren. Auch nach einer Korrektur können die Fehlwahrnehmungen das Denken und Handeln also weiter beeinflussen. Und mit der Zeit kann sich dieser sogenannte «continued influence effect» sogar noch verstärken.

Science-Check ✓

Studie: The ephemeral effects of fact-checks on COVID-19 misperceptions in the United States, Great Britain and CanadaKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsDie Studie befragte mehrere Tausend Probandinnen und Probanden in den USA, Grossbritannien und Kanada. Den Personen wurden wiederholt verschiedene Faktenchecks zu Covid-19 vorgelegt, anschliessend mussten sie selber falsche und wahre Aussagen bewerten. Dabei zeigte sich: Die Faktenchecks konnten die Falschwahrnehmung zu den spezifischen Themen verringern, die Auswirkungen waren jedoch nur von kurzer Dauer. Dabei nutzte die Studie jedoch zwei Mal den gleichen Text, um eine bestimmte Falschwahrnehmung zu widerlegen. Unklar ist also, ob ein zweiter Text, der noch mehr Argumente oder erklärende Details enthalten würde, den Effekt verlängern könnte. Da die Studie nur vier falsche Wahrnehmungen über Covid-19 testete und die drei untersuchten Länder alle wohlhabend, überwiegend englischsprachig und hoch gebildet sind, lassen sich die Resultate nicht ohne weiteres verallgemeinern.Mehr Infos zu dieser Studie...

Faktenchecks können den Glauben an Fehlinformationen im schlechtesten Fall also sogar begünstigen?

Genau, es kommt dabei darauf an, wie die Informationen, die eine Falschnachricht widerlegen, im Gehirn verarbeitet werden. Dies geschieht entweder eher systematisch oder eher peripher. Systematische Verarbeitung von Informationen ist kognitiv aufwändig und benötigt viel Motivation, ermöglicht aber eine detaillierte Erinnerung. Peripher geschieht sehr schnell und automatisch – und kann problematisch sein. Denn wie jemand eine Information bewertet, hängt auch damit zusammen, wie vertraut sie Menschen vorkommt. Das heisst, wenn eine Fehlinformation oft wiederholt wird, egal in welchem Kontext, wird diese als vertraut angesehen und Menschen glauben eher an deren Gültigkeit. Und: Automatisch eingespeicherte Informationen werden häufig schneller, aber ohne Kontext, also von wem eine Information stammt, und ohne später hinzugefügte Details abgerufen. Details, inwiefern die Information falsch ist, gehen so mit der Zeit verloren. Darum braucht es spezifische Strategien, um einmal eingespeicherte Falschinformationen zu widerlegen.

Sabrina Heike Kessler

Sabrina Heike Kessler arbeitet als Senior Research and Teaching Associate am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung an der Universität Zürich. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich unter anderem mit der Entlarvung von wissenschafts- und gesundheitsbezogenen Fehlinformationen.

Wie sehen diese aus?

Vereinfacht gesagt muss man die Lücke im mentalen Bild füllen, damit die Fehlinformation hier keinen Platz mehr hat. Am besten funktioniert das mit einer detaillierten und einprägsamen alternativen Erklärung. Diese kann entweder auf Fakten, Logik oder Quellen basieren. Idealerweise ist sie aber wissenschaftlich gesicherter und plausibler als die Falschnachricht und wird leicht verständlich kommuniziert. Studien zeigen, dass solche ausführlichen Texte wirksamer sind als schlichte, nüchterne Widerlegungen oder wenn nur Sachinformationen bereitgestellt werden. Wichtig ist auch aufzuzeigen, warum eine Falschnachricht überhaupt existiert und gestreut wird, denn das weckt Zweifel an der Zuverlässigkeit der Verbreitungsquelle.

So sollte ein Faktencheck aufgebaut sein

Die Forschung empfiehlt folgenden Aufbau für einen Faktencheck:
1. Den richtigen Fakt benennen: Beginnen Sie mit dem richtigen Fakt, wenn er klar, knapp und einprägsam ist – machen Sie ihn einfach, konkret und plausibel. Er muss zur Geschichte «passen».
2. Vor dem Irrglauben warnen: Warnen Sie vorab, dass nun eine Falschinformation folgt. Erwähnen Sie sie nur einmal.
3. Den Trugschluss aufdecken: Erklären Sie, wie die Falschinformation in die Irre führt.
4. Den Fakt noch einmal nennen: Bestätigen Sie am Ende den Fakt erneut – wenn möglich mehrfach. Stellen Sie sicher, dass er eine alternative ursächliche Erklärung liefert.

Erst vor Kurzem haben wir einen Faktencheck publiziert*. Wie beurteilen Sie den?

Ich würde zwingend die Überschrift ändern. Eine Frage als Überschrift suggeriert immer, dass da wohl was Wahres dran sein könnte. Auch hier gilt es, die Fehlinformation am besten nicht in der Überschrift zu platzieren. Denn das macht sie leider vertrauter und vertrauten Informationen wird eher geglaubt. Auf lange Sicht vergisst die Leserin oder der Leser – die mitunter auch nur die Überschrift und nicht den ganzen Artikel gelesen haben – eventuell die Frageform und es bleibt nur die Falschinformation im Gedächtnis. Ansonsten ist der Faktencheck solide, higgs ging hier professionell und sachte vor. Was ich damit meine: Der Artikel verurteilt die Leserschaft, die eventuell an die Falschnachricht glaubt, nicht, sondern sagt ganz klar «Ja, die Falschmeldung scheint seriös» und «sie erschliesst sich nicht auf den ersten Blick». Und kommt dann zur detailreichen Widerlegung «aber dies und jenes spricht eher dafür, dass dies eine Falschmeldung ist.»

* Aufgrund dieser Rückmeldung von Frau Kessler haben wir den ursprünglichen Titel des Artikels angepasst.

Man darf den Leserinnen und Lesern also nicht zu nahe treten?

Zugegeben, manchmal muss man das. Aber im Allgemeinen sollte man das Weltbild von Menschen nicht angreifen, nein. Denn das führt dazu, dass Gegenargumente in der Folge besonders stark angezweifelt oder sogar abgewehrt werden. Das kann dann dazu führen, dass sich der Glaube an die Fehlinformationen sogar noch verfestigt.

Wir bei higgs haben uns den Kampf gegen Fake News auf die Fahne geschrieben. Manchmal denken wir aber auch: Das wurde jetzt doch schon tausendmal berichtigt, müssen wir das jetzt trotzdem auch nochmals bringen? Was würden Sie uns hier antworten?

Wie bisherige Forschung zeigt ja auch die aktuelle Studie, dass die Wirkung von Widerlegungsversuchen leider nicht langanhaltend ist. Für einen möglichst langfristigen Effekt braucht es quasi stetige «Booster-Widerlegungstexte». Von dem her würde ich sagen: Jeder Widerlegungstext ist besser als kein Widerlegungstext! Nur etwas ist noch effektiver als die Bekämpfung im Nachhinein: Die Leute vorab gegen Fehlinformationen zu «impfen».

Eine Faktenspritze sozusagen.

Ziel einer derartigen «Impfung» ist es, den Menschen die Risiken von verbreiteten Fake News vor Augen zu führen und diese präventiv schon mal zu widerlegen. Das kann Menschen helfen, sich auf eine spätere Konfrontation mit Fehlinformation vorzubereiten und verbessert ihre Fähigkeiten, solche zu erkennen.

Können Sie an einem konkreten Beispiel aufzeigen, wie das geht?

Wie das funktioniert, zeigt eine aktuelle, noch nicht veröffentlichte aber zur Veröffentlichung akzeptierte Studie von Forschenden der Universität Tübingen. Sie führten ein Experiment mit drei Gruppen durch: Alle erhielten die Information, dass der Corona-Impfstoff auf der Technik der Messenger-RNA basiert. Die erste Gruppe erhielt keine zusätzliche Erklärung, die zweite eine detaillierte, die dritte eine irrelevante. Die Ergebnisse zeigten, dass die Personen, die detaillierte Erklärungen bekamen, welche Unsicherheiten im Zusammenhang mit der neuen Impfmethode direkt ansprachen, danach mit geringerer Wahrscheinlichkeit an eine Verschwörungstheorie zur Covid-19-Impfung glaubten und eher bereit waren, sich gegen Covid-19 impfen zu lassen.

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