Benedikt Meyer
Benedikt Meyer ist Historiker und Autor. Mit «Im Flug» hat er die erste wissenschaftliche Geschichte der Schweizer Luftfahrt geschrieben, mit «Nach Ohio» seinen ersten Roman veröffentlicht. Bei higgs erzählt er in der «Zeitreise» jeden Sonntag Episoden aus der Geschichte der Schweiz. Von den Wanderungen der Helvetier bis Erasmus von Rotterdam, vom Mord in Augusta Raurica bis zu Catherine Reponds tragischem Ende und von Henri Dunant bis zu Iris von Roten.
Dem Verteidigungsminister blieb nur der Rückzug. Beim «Vieux Fritz», dem Soldatendenkmal auf dem Col des Rangiers hatte Bundesrat Chaudet eine Rede halten wollen. Die Militärmusik war aufmarschiert, dazu einige Kavalleristen und Soldaten mit Schweizerfahnen – sie waren deutlich in der Minderheit. Rund siebentausend Menschen drängten sich auf dem Pass, schwenkten Jura-Fahnen und verhinderten mit Sprechchören den Auftritt des Bundesrats. «Jura libre!».
Immer wieder machten die jurassischen Separatisten mit spektakulären Aktionen von sich reden. Sie verübten Brand- und Sprengstoffanschläge, besetzten Botschaften, störten den Berner Tag an der Expo 1964, mauerten den Eingang des Berner Kantonsparlaments zu und gossen Teer in die Tramschienen der Bundesstadt. Die Lunte zu all diesen Problemen reichte 150 Jahre zurück – zu Napoleon und zum Wiener Kongress.
Damals war das sogenannte «Fürstbistum Basel» (dem Bischof von Basel gehörende Ländereien im Dreieck Arlesheim-Porrentruy-La Neuveville) dem Kanton Bern zugeschlagen worden, womit der Ärger programmiert war.
Welsche Katholiken im protestantischen, deutschsprachigen Bern. Immer wieder hatte es Spannungen gegeben, endgültig genug hatten viele Jurassier aber, als das Berner Kantonsparlament Georges Moeckli die Leitung des Verkehrsdepartements verwehrte. Begründung: Moeckli spreche zu wenig Berndeutsch. In Delémont kam es daraufhin zu Protesten, bei denen offen die Abspaltung gefordert wurde.
Die Separatisten organisierten sich als «Béliers» («Widder»); pro-Berner hielten als «Sangliers» («Wildschweine») dagegen. Bund, Kanton und Armee fachten den Konflikt durch ihr hemdsärmeliges Verhalten zusätzlich an. Als die Jurassier 1974 schliesslich an der Urne über den Bruch mit Bern befinden konnten, offenbarte sich vor allem die innere Spaltung der Region. Der Norden votierte klar für die Sezession, der inzwischen protestantisch geprägte Süden sprach sich für den Verbleib bei Bern aus. Eine zweite Abstimmung bestätigte die Spaltung des Juras, in einer dritten entschieden einzelne Gemeinden, zu welcher Seite sie gehören wollten. Am 24. September 1978 segneten die Stimmenden der übrigen Schweiz die Teilung ab. Der Jura wurde zum 23. Schweizer Kanton.
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Die Jurafrage verlor in der Folge an Brisanz. Verschwunden aber ist nicht. Das zeigt einerseits das Schicksal des Soldatendenkmals auf dem Col des Rangiers. «Le vieux Fritz» wurde 1984 umgestürzt, 1987 angezündet, 1989 erneut gekippt und daraufhin entfernt. Andererseits ist die Frage der Stadt Moutier noch heute ungelöst. 2017 entschied sich diese in einer Volksabstimmung haarscharf für den Wechsel zum Kanton Jura; diese musste jedoch wegen Unregelmässigkeiten annulliert werden. Am 28. März 2021 stimmt Moutier erneut über die Kantonszugehörigkeit ab.